Mit Filmmusik, dem Tschechischen Sinfonieorchester Prag und Panflöten beginnt die Konzertsaison im ausverkauften Tübinger Uni-Festsaal
TÜBINGEN. Am Ende: Jubel um James Bond 007. Und zum Einzug des Dirigenten Jiri Mikula ans Pult vor seinem Tschechischen Sinfonieorchester Prag die kurze und knallige Fanfare von Alfred Newman, an der bis heute jeder Kinobesucher einen Film der 20th Century Fox erkennt. Damit eröffneten am Donnerstagabend Kulturreferat und Museumsgesellschaft im vollbesetzten Festsaal der Tübinger Universität das Semester.
Modern Times. Programm-Macher Gudni Emilsson hat die Zeichen einer Zeit erkannt, die sich locker machen will. Da mag dann vielleicht etwas von der Erhabenheit des ehrwürdigen klassischen Kultur- und Konzerttempel, aber etwas Neues wird gewonnen: ein von Klanggewalt und Jubel fast berstender Festsaal mit einem ganz jungen Publikum. Das Orchester ist für seine Filmmusik-Einspielungen bekannt und hatte den Münchner Panflöten-Virtuosen Ulrich Herkenhoff und als Special Guest die aus Rumänien stammende Andreea Chira mitgebracht, die in Wiens und der Welt mit großem Erfolg dasselbe macht: die Panflöte in die großen Konzertsäle bringen.
Auch im Film gibt es Moden und Tendenzen: Adelige Liebesschnulzen, Sandalen-Schinken, Verbrecher-Epen, dunkle Detektivfilme und Western sind doch eher out. Dafür füllen Science Fiction, Fantasy, Katastrophen und historisch angehauchte Abenteuer die Kinosäle weltweit. Und das ließ sich an der Programmfolge nachhören. Mancher mag Pioniere wie Erich Wolfgang Korngold, Klassiker wie „Vom Winde verweht“, Hitchcocks „Psycho“ oder Morricones „Spiel mir das Lied vom Tod“ vermisst haben.
Aber genau mit diesem, einem der ganz Großen, begann es: Ennio Morricone (1928 bis 2020) ist vielleicht der begnadetste Melodiker und Harmoniker der Kino-Komponisten. Sein „Gabriel’s Oboe“ aus „Mission“ war dem Solisten geschuldet. Der Ton seiner selbstgefertigten Panflöten ist reiner, klarer, schärfer als der diesige Nebel von „El Condor Pasa“ und setzte sich mühelos gegen manch monumentale Klangberge von vollem Blech, donnernden Pauken und dem Arsenal an Percussion durch. Er spannte aber auch sanfte Melodiebögen.

Im Rausch dieses Riesenapparats ging dann die biegsam böhmische Geschmeidigkeit manchmal unter, an deren Tradition die Streicher hörbar anknüpften, wenn es sie auszuspielen galt. Zuweilen stellen die Filmkomponisten ihnen aber nur die undankbare Aufgabe, mit Tremendo-Geschrubbe die Atmosphäre von Spannung und Gefahr im Hintergrund aufzubauen. Doch das war alles immer sehr präzise abgestimmt von der Wucht überwältigender Crescendi bis zum Wechsel in weiche Melodik oder plötzlichem Verstummen.
Von John Williams, 1932 geboren, gab es dann ein Medley dreier völlig gegensätzlicher Themen. Die „Star Wars“ türmen sich vom Marsch bis zum Lärm. Das Geheimnisvolle von „Harry Potter“ kommt tänzerisch daher. Und zur sentimentalen Trauer des Violinsolos aus dem Holocaust-Drama „Schindlers Liste“ wäre auch ein kurzes Gedenken an die Toten, Vergewaltigten und Verschleppten des bestialischen Juden-Massakers vorstellbar gewesen, das die Hamas vor ein paar Tagen im israelischen Negev angerichtet hat.
John Williams, der klassische Sinfoniker des Kinos, kam im zweiten Teil noch einmal mit „Jurassic Park“. Den deutschen Big-Band-Leader James Last, Meister des Easy Listening, hat sich ausgerechnet Quentin Tarantino für „Kill Bill 1“ gesichert: „Der einsame Hirte“. Die hochvirtuose Panflöte über dem schlichten Satz des Orchesters war schon toll. Dagegen störte das rockige Schlagzeug ein wenig bei Nino Rotas Liebes-Thema aus dem Mafia-Epos „Der Pate“. Für den „Duft von Lavendel“ hat Nigel Hess blühenden, aber wunderschönen Kitsch geschaffen, bei dem Ulrich Herkenhoff seine Pan-Flöte wieder eindrucksvoll schwelgen ließ.
Hans Zimmer, 1957 in Frankfurt geboren und frisch mit dem Oscar ausgezeichnet, könnte der genialste und vielseitigste unter den Hollywood-Komponisten sein. Jedenfalls bringt er auch polyphone Elemente, allerlei Experimentelles in Instrumentierung, Rhythmus und Harmonik, die unverzichtbaren dramatischen Kontraste und eine unglaublich farbstarke und fein ausgetüftelte Klangtiefe in seine Musik. Das ist – obwohl sie ja eigentlich dem Geschehen auf der Leinwand dienen soll und das auch perfekt tut – eine Sinfonik, die auch völlig ohne Anbindung an eindrückliche Filmbilder große und zeitlos gute Musik ist. „Gladiator“ war vielleicht das beste Stück des Abends, auch wenn noch andere Ohrwürmer wie Howard Shores „Herr der Ringe“, Klaus Badelts rhythmisch starker „Fluch der Karibik“ und Alan Silvestris herrlicher Dialog des Orchesters mit der Klavierstimme aus „Forrest Gump“ folgten.
Die eingefügten Panflötenwerke, ein neoklassisches „Concertino C-Dur“ und Ulrich Herkenhoffs ins Folkloristische neigende „Nostalgia romanesca“ mit Special Guest Andreea Chira mögen kompositionstechnisch nicht übertrieben bedeutsam sein, aber schön waren sie doch. Und fanden fast so viel Beifall wie die zweite Zugabe, das James-Bond-Thema, bei dem der Saal fast schon tobte.
Eine andere, aber hervorragend gelungene und sichtlich erfolgreiche Semestereröffnung im ehrwürdigen Festsaal.

