Musik

Festsaal – Fun Fact Film

Das Tschechische Sinfonieorchester Prag eröffnete am Donnerstag mit Filmmusik und zwei Solisten die Saison im Festsaal der Uni Tübingen

TÜBINGEN. Unglaublich. Schon eine Dreiviertelstunde vor Beginn war der Festsaal restlos ausverkauft. Zusätzliche Stühle wurden herbeigeschafft. Viel junges studentisches Volk, aber auch das klassische Publikum war gekommen am Donnerstagabend und fieberte dem Semestereröffnungskonzert mit dem Tschechischen Sinfonieorchester Prag entgegen, das mit der Fanfare der 20th Century Fox ein Feuerwerk an Filmmusik zündete. Zwei Solisten hatte Dirigent Jiri Mikula mitgebracht: die Panflötistin Andreea Chira und Gerhard Müller, den Mann mit der Mundharmonika.

Das Tschechische Sinfonieorchester hatte schon vor zwei Jahren ein ähnliches Konzert gegeben, mit ähnlichem Erfolg. Es ist wahrhaftig berufen für so ein Programm, das vor ein paar Jahrzehnten noch undenkbar gewesen wäre für das traditionsbewusste Tübinger Publikum von Kulturreferat und Museumsgesellschaft. Denn das Ensemble aus Prag hatte im Jahr 1994, als mit der Wende auch die Filmindustrie in den historischen Barrandov-Studios abgewickelt wurde, die Nachfolge des ruhmreichen Film Symphony Orchestra (FISIO) angetreten. Doch die Filmstadt Prag erlebte eine Renaissance, als Kulisse und Produktionsstandort.

Juri Mikula dirigierte nicht nur seine Prager Sinfoniker souverän, sondernharmonierte
auch mit den Solisten ausgezeichnet. Foto: Martin Bernklau

Die knallig kurze 20th Century-Hymne von Alfred Newman symbolisierte in all ihrer Pracht – neben dem brüllenden Löwen von MGM – seit 1933 die ganze Kraft, den ganzen Glamour Hollywoods mit all seinen Blockbustern. Vor allem die Titel der Kassenschlager den vergangenen Jahrzehnten waren es, mit denen die Gäste aus Prag geradezu aufzutrumpfen verstanden. Nicht umsonst machte die „Gladiator“-Melodie von Hans Zimmer nach der Fanfare den Anfang.

Denn dieser Hans Zimmer, 1957 in Frankfurt geboren, markiert den Einschnitt zur modernen, zur jüngsten Phase der amerikanischen Filmmusik. Er steht aber auch für den überragenden europäischen Einfluss auf das Genre. Und er ist, neben Paul McCartney, der wohl berühmteste Musiker, der nie Noten lesen lernte. Zimmer, zwölffacher Oscar-Preisträger (und, wie erst spät bekannt wurde, ein tunichtguter Sohn aus jüdischer Chemiefabrikanten-Familie, die den Holocaust in England überlebt und nach Deutschland zurückgekehrt war), brachte mit seinem Synthesizer die Elektronik in den traditionellen Orchesterklang der Filmmusik.

Zimmer schuf farbige Klangräume, die Emotionen verdichten und mit ihrer Rhythmik Takt und Tempo der Filme begleiten oder sogar vorgeben konnten. Die Epoche zuvor hatten große Melodiker wie Ennio Morricone, John Williams oder auch ein Elton John oder ein Nino Rota („Der Pate“) geprägt, die den großen sinfonischen Sound verfeinert hatten, mit denen Hollywoods Filmmusik sich an den klassischen Formen orientiert hatte: den epischen Klängen von Verdis Opern und der Spätromantik, aber auch – sehr naheliegend – der Leitmotivik eines Richard Wagner.

Ein ganz großartiger „Mann mit der Harmonika“: Gerhard Müller. Foto: Martin Bernklau

Ennio Morricones „Lied vom Tod“ spielte Mundharmonika-Solist Gerhard Müller (aus der Hohnner- und Harmonika-Metropole Trossingen) fast noch intensiver, noch eindringlicher als das Original und glänzte auch in weiteren Arrangements wie Elton Johns „König der Löwen“ oder bei Alan Silvestris „ForrestGump“. In Morricones Liebesthema aus „Cinema Paradiso“ ließ die Rumänin Andreea Chira mit ihrer schwarzen Panflöte erstmals aufhorchen, später auch in „Gaberiel’s Oboe“ aus „Mission“ und Howard Shores „Herr der Ringe“: ganz klar im Ansatz – auch hier sind die Lippen das Wichtigste – spielte sie ungemein genau, ganz dicht phrasiert und in ihrer feinen Melodieführung völlig frei von jenem folkloristischen Überschwang, der mal üblich war nach „El Condor pasa“.

Eine neue Art, die Panflöte zu spielen: Andreea Chira. Foto: Martin Bernklau

Jiri Mikula hatte sein großes, farbenreiches und souveränes Orchester sehr gut im Griff, ohne dabei die Gesten extrovertiert zu übertreiben. Aber nicht nur in den „Star Wars“ von John Williams ließ er – mit den notwendigen Kontrasten – dem auftrumpfenden Pathos seinen Lauf und seine Wucht, sondern auch im Titel zu „Robin Hood“, wo Michael Kamen neben dem Heldenton auch die Jagdklänge von Horn und Blech atmosphärisch illustrativ einsetzt. Nino Rota neigte im Paten mehr der thematischen Arbeit zu, die eine Solovioline, dann ein Streichquartett der Stimmführer so suggestiv wie transparent aufspannte.

Diese Violine, vom Englischhorn, also der tiefen Oboe, und der ausgezeichneten Klaviersolistin ergänzt, prägte auch das tiefemotionale Thema zu „Schindlers Liste“ von John Williams, das viel einprägsamer ist als John Barrys Musik zu „Jenseits von Afrika“, wo dafür die Erhabenheit der Landschaft ihren klingenden Ausdruck findet. Damit endete der zweite Teil, den eine Kurzfassung der Sinfonischen Dichtung „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss eröffnet hatte, wie sie Stanley Kubrick für seine „Odyssee im Weltraum“ zur Leitmusik erkoren hatte.

Jubelstürme im überfüllten Festsaal für das Tschechische Sinfonieorchester Prag, Dirigent Jiri Mikula und die Solisten Andreea Chira (Panflöte) und Gerhard Müller (Mundharmonika) – drei Zugaben. Fotos: Martin Bernklau

Trotz dieses leisen Schlusses brach das Publikum auch nach dem Afrika-Thema in stürmischen Jubel aus und erklatschte sich drei genauso frenetisch gefeierte Zugaben: „Game of Thrones“, den „Fluch der Karibik“ und schließlich als Knüller und Rausschmeißer „James Bond 007“ in aller seiner grandiosen Macho-Wucht.

Es mag Teilen des Tübinger Traditionspublikums immer noch ein wenig befremdlich vorkommen. Aber bei diesem gigantischen Zuspruch vor allem auch bei einem jüngeren Publikum kann Programm-Macher Gudni Emilsson gar nicht anders, als dieses anders moderne, vielleicht modischere und eher dem Unterhaltenden zugeneigte Genre Filmmusik prominent in seinem Programm zu platzieren. Mit seiner -überhaupt sehr gut in der Reihe vertretenen – Prag-Connection stehen ihm dafür ja auch die idealen Musiker zur Verfügung.

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