Musik

Festival im Kloster – „Vielklang“ an vielen Orten

Das kleine Klassikfestival Vielklang eröffnet seine 14. Ausgabe mit einem Wandelkonzert in Bebenhausen

BEBENHAUSEN. Wandelkonzerte sind – wie Stationentheater – eine wunderbare Modeerscheinung. Auch das feine, kleine Tübinger „Vielklang“-Festival, das sich schwerpunktmäßig historischer Praxis widmet, nahm diesen Trend für seine 14. Ausgabe auf und eröffnete am Samstagnachmittag die drei Konzert-und Kurswochen mit einem musikalischen Rundgang durch die Außenanlagen des Klosters Bebenhausen, den der Architekt Rüdiger Krisch mit anekdotisch gewürzten Erklärungen zur Baugeschichte und zur historischen Bedeutung der Zisterzienserabtei begleitete.

In der Kutscherhalle des königlichen Jagdschlosses und vormaligen Klosters Bebenhausen begann das Wandelkonzert zum Auftakt des kleinen Klassik-Festivals „Vielklang“. Fotos: Martin Bernklau

Festival-Intendant Felix Thiedemann begrüßte sein vielleicht knapp hundertköpfiges Publikum in der offenen Kutscherhalle mit leider modischen, aber längst lästig gewordenen Anekdoten um die Deutsche Bahn und den Luftverkehr, die er in Humor zu wenden suchte: Dem kroatischen Vokalensemble Antiphonus waren Teile des Gepäcks am München Flughafen hängengeblieben. Ein paar Sänger mussten ohne Konzertgarderobe zivil gewandet auftreten. Und Robert Schlegls Bläserformation Dei Venti mit ihren historischen Instrumenten hängte die Deutsche Bahn vom letzten Streckenabschnitt ihrer Reise von Bad Reichenhall in den bayerischen Alpen nach Tübingen einfach ab.

Eine von außen hereingewehte Fanfare des Renaissance-Musikers Heinrich Isaacs (1450 bis 1517) gab den Willkommensgruß, nicht zur königlischen Jagd rufend, sondern zur Schlacht: „Battaglia“. Antiphonus war mit fünf Bläsern aus Zagreb gekommen. Sie spielten ventillose Zugposaunen, von denen sich die tiefste und größte in Basslage mit einem Zusatzstab verlängerm ließ, sowie zwei Zinken. Diese kleinen Krummhörner aus dem Mittelalter zählen zwar zur den Blechblasinstrumenten, sind aber aus Holz gefertigt und wahlweise mit Leder oder Pergament ummantelt.

Das Vokalensemble Antiphonus aus der kroatischen Hauptstadt Zagreb und Theorbe-Virtuose Hans Brüderl in der Kutscherhalle. Foto: Martin Bernklau

Die wunderbaren Vokalklänge des Madrigals „Troppo ben puo`?“ und das „Lamento della ninfa“ von Claudio Monteverdi (1567 bis 1643), der dem mönchisch-gregorianisch verwurzelten und „niederländischen“ Fugenwesen in sogenannten „Tönen“, den gregorianischen Tonarten, die „Monodie“ von homophonem Dur und Moll beifügte, begleitete Hans Brüderl auf einer Theorbe, der langhalsigen Großlaute, die neben Streich- und Tasteninstrumenten bevorzugt für die Generalbass-Begleitung jener Epoche zuständig war. Sehr fein, sehr plastisch artikulierten die Antiphonus-Stimmen den hochemotionalen Ausdruck dieser Musik aus dem Übergang zum Barock.

Im Hof zum einstigen Klosterspital, dem Infirmarium oder Siechensaal, zusammen mit der benachbarten Wärmestube der Mönche, als „Caldarium“ über der Klosterküche beheizt, das die württembergischen Könige zur eigentlichen Wohnstatt ihres Jagdschlosses umgebaut hatten, spielte das Bläserquintett Dei Venti einige Canzone aus der Sammlung „La spiritata“ des Venezianers Giovanni Gabrieli (1554 bis 1612) – mit geschmeidigem Ausdruck und einer Intonation, wie sie auf solchen ventillosen Instrumenten nur wirkliche Könner so stimmig hinbekommen.

An der Außenwand der Klosterkirche zum Friedhof hin, also dort wo bis zu ihrem Abbruch die Westhälfte des gotischen Gotteshauses gestanden hatte, waren wieder die kroatischen Vokalisten dran und sangen mit hohem Tempo, plastischer Klarheit und präzise deklamierender Artikulation das bildhaft dramatische „La Bomba“ des spanisch-aragonischen Komponisten und Zisterziensermönchs Matteo Flecha oder Mateu Fletxa el Vell (1481 bis 1553), in dem er, die Natur nachahmend, sogar ganz modern anmutende Glissandi einsetzt.

Frühbarocke Bläsermusik von Dei Ventivor dem mittelalterlichen Torturm des Klosters. Foto: Martin Bernklau.

Unten am Torturm stimmte dann das Bläserensemble eine Suite des norddeutschen Orgelkomponisten Samuel Scheidt ( 1587 bis 1654) an, deren fein bewegte Tanzmelodien sich allerdings schon auf kurze Distanz ein wenig im offenen Raum verloren.

Im trockenen Brunnen vor den einstigen Abtsgemächern, dem baulich ältesten Teil des 1185 von Konstanzer Prämonstratensern gegründeten Klosters, gaben die Antiphonus-Vokalisten ein Schmankerl ihres kroatischen Landsmanns Marko Ruždjak (1946–2012) zum Besten, eine hochvirtuose Mischung aus Sprechgesang, Lautmalerei und zarten Vokalisen mit dem Titel „Ubu“. Rüdiger Krisch rezitierte neben seinen Erläuterungen auch das in Bebenhausen entstandene zart erotische Mörike-Gedicht „Aus dem Leben“ vom Mädchen am Waschtrog und dem verliebten Forstmann unterm Fenster des Abts.

Cicerone Rüdiger Krisch und die Sänger von Antiphonus im und am Brunnen vor dem einstigen Abtsbau.
Foto: Martin Bernklau

Zurück im Kutschersaal ging er auch noch auf die politische Bedeutung der Klostergemäuer als Tagungsort der verfassungesgebenden Landtags von Württemberg-Hohenzollern nach dem Zweiten Weltkrieg ein, wo an 1947 unter maßgeblicher Führung von Carlo Schmid und Gebhard Müller im Sommerrefektorium beraten, gespeist und getrunken und in den unbeheizten einstigen Mönchszellen angeblich auf kargen Strohsäcken geschlafen wurde. Dem bürgernahen König Wilhelm II. von Württemberg, der hier im Jagdschloss 1918 seine Abdankung verfasst hatte und dort 1946 gestorben war, widmete Krisch das Gedicht „Der letzte Pfalzgraf“ von Ludwig Uhland, der – wie seine Figur – sehr an Bebenhausen hing.

Dann spielten die Bläser zum Abschluss mit dem zweiten Teil der Samuel-Scheidt-Suite noch einmal auf, und bekamen noch etwas länger als an den anderen Orten begeisterten Schlussapplaus, der natürlich auch dem kroatischen Vokalensemble galt. Ein paar der auf dem Programmblatt angekündigten Werke gab es nicht. Aber so etwas gehört zum improvisatorischen Charme dieses Festivals. Am Abend führte dann das Ensemble KlangKunst im Sommerrefektorium Vokalwerke des Barock a cappella auf. Dei Venti tritt am heutigen Sonntag um 18 Uhr mit „Surrexit“ noch einmal im Sommerrefektorium vors „Vielklang“-Publikum.

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