Thorsten Weckherlin inszeniert am Tübinger LTT Jean Genets „Zofen“
TÜBINGEN. Ein Rückschritt? Der schwule französische Verbrecher-Dichter Jean Genet hat sich für seine „Zofen“ lauter Männer in den drei Frauenrollen vorgestellt. Intendant Thorsten Weckherlin besetzt in seiner Inszenierung nur die Madame, die „gnädige Frau“ mit einem Mann. Aber wie! Als knalliger Harald Glööckler tritt Martin Bringmann aus dem Bühnennebel zwischen die Zofen Insa Jebens und Franziska Beyer. Am Freitagabend war die fast ausverkaufte Premiere im Großen Saal des Tübinger LTT.

Der schrille Designer ist nicht das einzige Accessoire, mit dem Weckerlin neue Bezüge des 1947 in Paris uraufgeführten Skandalstücks zum Hier und Heute knüpft, von Ausstatter Vinzenz Hegenmann wunderbar durchgestylt (wo es doch auch um die Ästhetisierung des Verbrechens geht). Die Deko und die Trash-Mode prägen die knallroten Tüten des örtlichen Modehauses Zinser. Im großen Rundspiegel über dem Schminktisch flimmert hin und wieder eine KI-Version des originalen – die Älteren erinnern sich – „Aktenzeichen xy“-Verbrecherjägers Eduard Zimmermann. Die Lilien als Todesblumen ordnen sich zur Vasenallee.

Für den in Haft sitzenden Gewohnheitskriminellen, Dramatiker und Romancier Jean Genet haben französischen Intellektuelle unter Führung von Jean-Paul Sartre seinerzeit eine Begnadigung erwirkt. Zu Zeiten der studentischen Revolte galten nicht nur seine mordlüsternen „Zofen“ als Allegorie für den revolutionären Aufstand der Arbeiterklasse. Auch die Befreiung der unterdrückten Frau wurde mit ihnen gefeiert, der Tyrannenmord an den dekadenten Ausgeburten der herrschenden Klasse. Natürlich wurde Genet nicht nur für einen Rainer Werner Fassbinder auch zu einer Ikone der schwulen Bewegung. Aber Genet war dann mal weg von den Bühnen, wenigstens weitgehend.

Thorsten Weckherlin deutet diesen knappen, konzentrierten Krimi, diesen Alptraum eines genussvoll zelebrierten Mordes, diesen (durchaus auch geschlechtlich begreifbaren) Rollentausch nicht mehr als Klassenkampf, sondern ganz anders: als „rituelle Handlung“, als Spiel im Spiel, als Wechsel der Namen und Identitäten der Claire und der Solange, von Täterin und Opfer, von Sado und Maso – wie „Die Zofen“ ja auch beginnen, schwebend zwischen Traum und Wirklichkeit, Camouflage und Charade im Rollenreigen. Übrigens immer in einer eleganten, fast klassisch wuchtigen Sprache und einem Anflug von Komödie („Ein Mord ist auch eine komische Angelegenheit“) , was das schillernde Stück ja auch schnell berühmt gemacht hat.

Insa Jebens – stark ihr Monolog gegen Ende – und Franziska Beyer spielen die beiden Zofen wie Geschwister, fast wie Zwillinge. Was ja auch so sein soll im stetigen Wechsel der Rollen. Mal so, mal so, aber immer präzise in diesem Changieren zwischen Bosheit, Zärtlichkeit, Aufstand und spielerischer Unterwerfung. Martin Bringmann trägt schon richtig dick auf. Wie das nicht anders sein kann bei einem geschminkten Monster der Marke Glööckler. Manchmal mischt er auch provozierend das Publikum auf, stolziert die Stufen hinauf und durch die Reihen, beglückt die Wehrlosen mit seinen pompöös pseudo-zärtlichen Zudringlichkeiten (….alles okay… nichts Übergriffiges).
Jörg Wockenfuß hat das steile Stück sehr stringent mit seiner Musik, aber auch mit fulminanten Pop-Covers wie der „Bohemian Rhapsody“ von Queen unterlegt. Als Trio, Duett oder solistisch machen die Drei dem hohen musikalischen Standard beim LTT alle Ehre. Das Publikum war hellauf begeistert und jubelte lang.

