Im Kursaal eröffnete Anton Gerzenberg den „Cannstatter Klavierfrühling“
BAD CANNSTATT. Das von strahlendem Licht und frühsommerlicher Luft umzauberte Ambiente des Kursaals hätte täuschen können an diesem Sonntagnachmittag: Der „Cannstatter Klavierfrühling“ bietet keine leicht plätschernde klassische Muse. Da finden sich die aufregendsten jungen Musiker, die dem Klavier und seiner Literatur noch Neues, auch Streitbares abgewinnen wollen. Zur Eröffnung trat Anton Gerzenberg im vollbesetzten Saal vor ein offen gestimmtes Publikum und setzte sich an den nagelneuen Steinway-Flügel des Sponsors.
Der 1996 geborene Gerzenberg hat sensationelle Auftritte gehabt und international für Aufsehen gesorgt, etwa beim Geza-Anda-Wettbewerb in Zürch, den er 2021 gewann. Unerhört ist das passende Wort. Denn der junge Mann spielt mit seiner unglaublichen Technik, die an sich nichts Aufsehenerregendes mehr wäre, nicht nur Monumente wie Beethovens Sonate As-Dur oder die Paganini-Variationen von Johannes Brahms gegen den Strich des Gewohnten.
Er schafft gewissermaßen ganz neue eigene Werke, indem er barocken Bach und seinen Bearbeiter Busoni – allen durch die ikonischen Aufnahmen des todkranken Dinu Lipatti tief in die Seelen geprägt – etwa mit György Kúrtags ganz freier, und eigenartiger Moderne zu einer verblüffenden, vielleicht auch verstörenden Collage kombiniert, Und zwar „attacca“, im durchgehenden Bogen.
Schon Bachs Französische Suite Nr. 5 in G-Dur, mit der er begann, hat man so noch nie gehört: sehr agogisch frei betont, dabei aber außerordentlich genau in ihren polyphonen Linien konturiert, manchmal in Poesie verloren und dann wieder von motorischer Energie berstend oder tänzerisch pointiert wie beim ausgelassenen Dorffest. Man darf sich befremdet fühlen, wenn die rhythmische Präzision nicht so bestechend gefeiert wird, wie bei anderen jungen Hochbegabungen. Gerzenberg könnte natürlich, aber er will Anderes.
Ferruccio Busonis Bach-Bearbeitungen zeigen den Komponisten, aber eben auch den Pianisten. Er starb 1924. Romantik also noch. Und das darf hörbar sein wie bei Lipatti, auch wenn Gerzenberg zuweilen ganz andere, vielleicht nicht ganz so fromm innige Linien zog.
Mit seinem Faible für den 1926 geborenen György Kurtág ist Gerzenberg unter Pianisten gewiss nicht allein. Den Klängen gerade auch dieses einzigartigen Instruments nachzulauschen, seine Grenzen auszuloten, darin befreit der Ungar von aller analytischen Dogmatik – versteht und verwendet sie aber trotzdem wie als einen Fingerzeig – auch auf Bach.
Nach der Pause kamen die Standards. Und den Standards zeigte sich Anton Gerzenberg zuweilen geradezu abhold. In Beethovens vorletzter Sonate schien er sich sogar zu entziehen diesem wohlfeilen Gestus von grimmigem Scherzo oder Cantabille molto espressivo. An der sperrigen Fuge aber – Beethoven kämpfte bekanntlich zeitlebens mit der Form – wird es dann vollends spannend, Gerzenberg nahm sie als einen Kampf des längst Ertaubten, wie die späten Streichquartette. Nichts Flüssiges, Versüßendes sollte da drübergegossen werden.
Bei den Paganini-Variationen war das auch so – aber auch andersherum. Anton Gerzenberg spielte sie ganz rauschhaft, als Exzess der Virtuosität. Das Thema hört ja „jeder Esel“ heraus. Das hörte sich dann zuweilen grenzwertig an, wüst und wild, zumal die Anschlagskraft der Finger geradezu sinfonische Wucht aus dem Steinway herauszuholen verstand. Natürlich hätte sich Brahms als ehrgeiziger Pianist verneigt. Als Zugabe gab es Fritz Kreisler in der Rachmaninoff-Fassung.
Der „Cannstatter Klavierfrühling“ ist sensationell. Am Sonntag, 21. April, um 17 Uhr geht es mit Alberto Ferro weiter. Das Finale am 12. Mai hat sich Festival-Organisator Robert Neumann für sich selber vorbehalten,