Musik

Der Weg der Frauen

Ariane Matiakh, die Reutlinger Philharmoniker und Solisten eröffnen das Tübinger Komponistinnnen-Festival

TÜBINGEN. Natürlich gab es Reden, die schwer zu verstehen waren, gab es Ehrengäste. Boris Palmer musste sich bei Landtagspräsidentin Muhteren Arras für einen Zwischenruf entschuldigen. Aber trotzdem standen am Freitagabend im Festsaal der Uni Tübingen rein und klar die Musik und die Frauen im Mittelpunkt des Eröffnungskonzerts zum Komponistinnen-Festival, einem wegweisenden Vorhaben.

Die beiden wichtigsten Frauen waren Ariane Matiakh, Chefdirigentin der Württembergischen Philharmonie aus der Nachbarstadt, und die estnische Komponistin Mari Vihmand, deren großes Orchesterstück „Herz, mein Herz“, auch eine Hommage an die große Tübinger Tonsetzerin Josephine Lang (1815 bis 1880), seine Uraufführung feiern durfte, ja feiern.

Neben ihnen bekam zunächst Graźyna Bacewicz (1909 bis 1969), die Schülerin der so bedeutenden Lehrerin und Neutönerin Nadia Boulanger, in ihrem Heimatland Polen berühmt und hochverehrt, im ganz gut besetzten Festsaal ein gebührend großes und sicher bedeutsames Podium für ihre mitten im Krieg komponierte Orchester-Ouvertüre, ein klangmächtiges, als neoklassizistisch einsortiertes, aber eigentlich expressionistisches Stück. Die klar ordnende und alle Klangtiefen auslotende Hand von Ariane Matiakh verhalf ihm zu besonderer Wirkung.

Josephine Lang, die aus München in die Tübinger Sippe der Köstlins einheiratete und hier wegen ihrer vielen anderen Pflichten nicht mehr so produktiv sein konnte wie zuvor, hatte in ihrer Musikerfamilie zunächst vielleicht noch etwas bessere Produktionsverhältnisse als für die paar wenigen komponierenden Frauen – ihrer Zeit und bis heute – üblich. Natürlich war auch die tiefe Hochachtung und Förderung durch Felix Mendelssohn Bartholdy ein Grund dafür, dass sie vor allem als Liedkomponistin doch recht hohe Bedeutung und anhaltende Wertschätzung erlangte.

Mit Josephine Langs tief empfundenen und doch eher virtuos als schlicht ausgearbeiteten „Herz, mein Herz“ für Sopran, Violoncello und Klavier hatte das kleine Ensemble um die kraftvolle und ausdrucksstarke Stimme von Sibylla Rubens, den Cellisten Ulrich Schneider und Barbara Braun am Flügel ihr eindrückliches kammermusikalisches Zwischenspiel inmitten volltönender Orchesterwerke. Das Ohr musste sich kurz auf zartere Klänge umstellen.

Diesem thematischen Material und seiner Melodik hat sich die inzwischen in Bad Urach beheimatete Mari Vihmand zugewandt und ein von Fülle des Wohllauts wie von scharfen Reibungen, feingewebten Teppichen, reichlich percussions-farbigem Klangzauber und einer variantenreich freien Rhythmik strahlendes Stück großer Orchestermusik daraus gemacht. Ariane Matiakhs einem hoch aufmerksamen Orchester so suggestiv Struktur gebender Stab, ein Zauberstab, wenn man so will, zeigte da seine ganze Klasse.

Als phänomenale Dirigentin machte sie auch die Sinfonie Nr. 7 f-Moll von Emilie Mayer zu einem Ereignis, die völlig ohne Vorbehalt in die Reihe der großen romantischen Sinfoniker eingereiht werden muss. Diese 1812 in Mecklenburg gebürtige und 1883 in Berlin gestorbene Musikerin war stilistisch vielleicht ein wenig rückwärts ihrem großen klassischen Leitstern Beethoven und klassisch-klaren formalen Strukturen zugewandt. Aber diese großartige Sinfonik, reich an einprägsamer melodischer Fülle, prägnanter Rhythmik und spannenden Kontrasten, sollte auf den Konzertprogrammen einen völlig gleichberechtigten Platz neben den Schubert Mendelssohn oder Schumann bekommen.

Und auch hier wieder: Ariane Matiakh ist eine ganz Große. Frauenbonus? Was für ein Unfug! Wie lange sich eine solche Maestra in Reutlingen halten lassen wird? Wer weiß. Man kann da nur hoffen. Der Jubel des Publikums war jedenfalls weit mehr als nur angemessen und verdient.

Click to comment

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

To Top