Im Tübinger Kino Museum läuft „Daddio“ an, das großartige Debüt von Christy Hall mit Sean Penn und Dakota Johnson
„Schwer erträgliches Kammerspiel. Einfältig.“ Walli Müller, NDR
TÜBINGEN. Und wenn all die cineastisch Ahnungslosen zetern mögen: Mit „Daddio“ hat Regisseurin Christy Hall ein so großartiges Debüt abgeliefert, dass man ihren Film durchaus irgendwann neben die ganz anders gearteten Monumente des Taxi-Genres stellen kann – und wird: Martin Scorseses „Taxi Driver“ und „Night on Earth“ von Jim Jarmusch, als eine Trias dann.
Nicht, dass es nichts dran auszusetzen gäbe an „Daddio“, im Gegenteil: Das Ende zum Beispiel bleibt zwar offen, schrammt aber trotzdem verdammt nah am Kitsch vorbei. Überdeutlich der Dank. Überflüssig der Cash. Hollywood halt. Da hätte etwas mehr europäisches Kino, hätte mehr Godard ganz gut getan. Oder schon dieses kindische Kofferwort als Titel. Der Fauxpas mit „Girlie“ im Abspann. Doch über die Star-Besetzung mit Dakota Johnson („Fifty Shades of Grey“) und Sean Penn hinaus ist das derartig originelles, auch innovatives und kunstvolles Kino, dass man es nie wieder vergisst. Unaufgeregt leise, doch atemlos dicht.
Das fängt mit der kühnen Beschränkung an: Die fast zwei Stunden Film mit zwei Personen (und einer abwesenden dritten) spielen fast ausschließlich in der Enge eines gelben New Yorker Taxis, lassen dabei aber keinerlei Platzangst aufkommen. Und Langeweile erst recht nicht. Kameramann Phedon Papamichael arbeitet fast zwangsläufig mit vielen Close ups. Der Bühnen-Begriff „Kammerspiel“ taugt da eigentlich nicht. Denn dieses Bannen winzigster Nuancen in Mimik und Gestik ist ein Privileg des Films und fordert ganz andere schauspielerische Qualitäten als ein Mimen-Duell auf offener Bühne des Theaters. Erstaunlich: Dakota Johnson überragt den großen Sean Penn dabei sogar noch.
Die Story ist schlicht. Eigentlich. Eine IT-Technikerin steigt am Airport JFK etwas erschöpft in das Taxi, um sich nach Midtown Manhattan chauffieren zu lassen. Ihr notgeiler Lover, noch nicht näher beschrieben, später als etwas älterer, anderweitig verheirateter Familienvater enthüllt, den sie manchmal „Daddy“ nennt, giert per Whatsapp nach Sex und schleimt sich so schmierig wie schmutzig in seinem öden Dirty Talk an die vom Schwestern-Besuch aus Oklahoma fast Heimgekehrte ran. Doch der Typ chattet sich schließlich mit einem „Dickpic“, einem Schwanzbild, still und leise, aber auch krachend peinlich ins Abseits. Der ist dann mal weg. Abserviert. So intensiv, so subtil aber auch sarkastisch ist diese Kommunikationsform Chat im Kino noch nie eingefügt worden in eine stimmige Dramaturgie.
Denn die junge Frau – hübsch, selbstsicher und eben eine taffe New Yorkerin, die ganz gut „alleine klarkommt“ – ist mit diesem etwas abgewirtschafteten alten Mann vorn am Steuer längst in einem Gespräch, das beiläufig und banal als Small Talk anhebt, aber bald dramaturgisch geschmeidig, leichtfüßig und schlüssig schnell an Substanz gewinnt. Ihren Namen gibt sie nicht preis. Das kontrapunktische Wechselspiel von Episoden aus ihrem und aus seinem Leben gewinnt immer mehr an Gewicht und Tiefe, an Dramatik.
Dieser Clark betreibt mit seinem fragwürdigen Frauenbild einerseits, was eine politisch korrekte Walli Müller (zu Recht) herablassendes „Mansplaining“ nennen darf, garniert auch mit mancher etwas tumb sexistisch zum Besten gegebenen Macho-Erfahrung, verfügt andererseits aber tatsächlich über einen liebenswürdig prolligen Charme, der illusionsfreie Lebensklugheit und eine berufsspezifische Menschenkenntnis mit Sensibilität verbindet. Dass Sean Penn mit diesem Clark keinen Gender-Professor oder Psychoanalytiker darstellt, sondern einen ziemlich ramponierten New Yorker Unterschichtler, das übersieht so spießig moralstarke Kritik in ihrem billig polemischen Geschimpfe geflissentlich.
Auch Dakota Johnsons namenlose Programiererin ist kein eindimensionaler Charakter, kein Typus, sondern offenbart ihrem aufmerksamen Zuhörer am Steuer (und den Zuschauern) in diesem anonymen Safe Space eines Yellow Cab – Blickkontakt gibt es ganz lang ausschließlich über den Rückspiegel – immer mehr zwiespältige bis widersprüchliche Schattierungen ihrer abgehärteten, aber empfindsam gebliebenen Seele. „Einfältig“? Iwo! Exakt das Gegenteil.
Es geht um Frauen und Männer, klassisch konventionell. Klischees? Aber ja, in Hülle und Fülle! Das gab es in den Taxis von Scorsese oder Jarmusch auch. Kein Grund, das als Kritiker:innen – pardon! – mit viel Gesinnung und wenig Ahnung wütend wie ein Rudel Wölf:innen zu beheulen wie den Vollmond. Jeder Antikriegsfilm bedient das Klischee vom kämpfenden Soldaten. Nicht nur Coppolas „Pate“, auch ein Scorsese spielt gern mit allen Klischees eines mafiösen Kapitalismus. Von Tarantino und seinen Gangster-Klischees nicht zu reden. Und auch in diesen fein gesponnenen Dialogen von „Daddio“ ist viel subtile Ironie im Spiel mit den Klischees der Geschlechter. So what?
Es nähme viel vom virtuos aufgebauten Spannungsbogen (Drehbuch: auch Christy Hall), würde man hier anfangen, die erzählten Geschichten nachzuerzählen. Der selbstironische Story-Contest der beiden endet 3:2 oder vielleicht auch 3:3 unentschieden. Die weit überwiegenden Innenperspektiven aus dem Taxi sind wohltuend frei von Musik, ganz still. Dickon Hinchliffe hat den Soundtrack auch sonst sehr dienend, sehr zurückhaltend eingerichtet.
Die Kamera arbeitet konventionell mit Schuss und Gegenschuss, mit Nahaufnahmen und kleinen Totalen in beide Richtungen – plus Rückspiegel. Herausragend sind Tempo und Timing beim Schnitt. Die Außenbilder dieser „Nacht in New York“ (Untertitel) werden ganz sparsam eingesetzt und leuchten glanzlos sachlich im Hintergrund, also ohne ikonischen Metropol-Glitter. Sie vermitteln aber viel Atmosphäre. Nur dreimal tritt die Außenwelt näher, von Einstieg und Ausstieg abgesehen: als Clark dringend mal muss; als ein schwarzes Kind im Nachbarauto mit der weißen Frau in Blickkontakt geht und geheimnisvolle Zeichen gibt; und als das Taxi die Unfallstelle passiert, die den Stau ausgelöst hat.
Eine falsche Botschaft, lauter Klischees? Ein so unhaltbar veraltetes Frauenbild, „dass es sich fragt, wie solch ein Film im Jahr 2024 eigentlich überhaupt noch gedreht werden konnte“, wie Anne Küper, ein/e andere/r Kritiker:in, schäumt (die bei ihrem ausschließlich mit der vermeintlichen Message begründeten Urteil im „Tagesspiegel“ natürlich auch „Non-Binäres“ vermisst)? Eine dritte schwer enttäuschte Kritikerin namens Arabella Wintermayer hätte Christy Halls Debüt so gerne als „kritischen Kommentar zu sexistischen Stereotypen (ge)lesen“ und nennt den Film einer Frau in der „taz“ groteskerweise eine „Männerfantasie“. Geht’s noch?
Wer von diesem Film ein postfeministisches Statement, ein Glaubensbekenntnis und die richtige Haltung erwartet, der sollte tatsächlich wegbleiben, wie von der zeternden Frau Müller so dringlich empfohlen. It’s entertainment, stupid. Da entginge aber all jenen Abgeschreckten ein höchst sehenswertes, ein eigenwillig originelles Stück Kino, so fantastisch gespielt wie einzigartig gefilmt. Denn „Daddio“ ist auch: feine Filmkunst. (FSK ab 12)