Kino

Caravaggio, der helldunkle Held

Der Schatten Caravaggios“ – im Tübinger Arsenal läuft der Historienfilm über das verruchte Malergenie

TÜBINGEN. Er war einer der Größten – und wusste das: Michelangelo Merisi, nach dem Städtchen bei Mailand, in dem er 1571 geboren wurde, Caravaggio genannt. Als opulentes und düsteres Historiendrama hat der italienische Regisseur Michele Placido seinen Film über dessen wildes Leben inszeniert, sichtlich inspiriert von Caravaggios naturalistischer Helldunkel-Malerei.

Star des Stücks ist weniger der Caravaggio-Darsteller Riccardo Scamarcio, erst recht nicht Louis Garrel als päpstlicher Schattenverfolger, sondern Isabelle Huppert als Marchesa Costanza Sforza Colonna, die Mäzenin und Beschützerin des Künstlers, die ihn als Kind ein menschliches Evangelium lehrt, den von der Kirche Verfemten und Verfolgten versteckt und nicht nur zu den vielen adligen und kirchlichen Bewunderern gehört, sondern vielleicht auch zur weit älteren Geliebten wurde.

Isabelle Huppert alds Marchesa Colonna
Repro: mab

Die Beziehung ist belegt. Auch die Beschattung des als Mörder zum Tod verurteilten Flüchtlings und Verbannten, aber nach wie vor in Adel und Klerus hochbegehrten Malers durch päpstliche Spione ist belegt. Nicht aber die Ermordung Caravaggios. Der 38-jährige starb wohl eher durch Krankheit oder durch eine weitere wilde Rauferei, als er an der Grenze zum Kirchenstaat auf seine Begnadigung durch den Papst wartete.

Der Skandal um Caravaggio war aber weder seine Neigung zur Gewalt und Trunk noch sein wildes Sexualleben, das Edelfrauen und Huren ebensowenig ausschloss wie Knaben. Der Skandal war, dass Caravaggio Heilige und Götter so naturalistisch, so menschlich malte – und zwar nach Modellen, die er in seiner geliebten nächtlichen Halbwelt Roms fand: Prostituierte, Trinker, Raufbolde, Bettler und Obdachlose.

In der Flut der zahllosen Berichte, Mythen und Legenden um das wilde und wüste Leben Caravaggios ist der Regisseur fast ertrunken. Kein Kardinal, kein Papst Paul V., kein Konkurrent von Rang durfte fehlen, auch die namentlich überlieferten Prostituierten und Geliebten nicht. Und auch eine befreundete Malerin, seinerzeit natürlich etwas Sensationelles, musste ihre eigene Episode bekommen.

Bei der (nicht belegten) Begegnung Caravaggios mit dem aufklärerischen Ketzer Giordano Bruno, der im römischen Kerker auf seine Hinrichtung wartet, und beim Ende mit Schrecken hat sich der Film alle Freiheiten und Spekulationen erlaubt. Vielleicht hätte Regisseur gut daran getan, bei dieser Darstellerin, der großen Isabelle Huppert – sie spielt auch mit ihrer erotischen Intensität alle jüngeren und vielleicht schöneren Kolleginnen geradezu an die Wand – die Schutz- und Liebesgeschichte Caravaggios mit der deutlich älteren Mäzenin und Marchesa in den Mittelpunkt zu stellen und geduldig zu entwickeln. Die Dramaturgie aber wollte zuviel aus diesem spektakulären Künstlerleben unterbringen.

Die Schauplätze römischer Dekadenz und Armut sind in ihrer Drastik oft etwas überzeichnet, die Rollen wie die Bilder fast durchweg ins Pathetische forciert. Und im Grunde tut sich nichts, nicht viel: ein wuchtiger, aber durchgängig unveränderter Charakter, neben den Konkurrenten-Fehden und wüsten Prügeleien ein einziger Konflikt, der mit der Kirche, die Bewunderung von Adel und Klerikern, die erwiderte Liebe der kleinen Leute, unter denen das gewalttätige und zärtliche, fürsorgliche und exzessive Genie lebte – all das wird in einzelnen Episoden dargestellt, die auch als Rückblenden etwas wahllos und beliebig aneinandergereiht wirken.

Allerdings hat der Film nicht nur das Wesentliche der Künstlerpersönlichkeit erfasst, sondern auch diese grandiose Kunst samt ihrem Hintergrund. Caravaggio war ein heimlicher Pop-Star bei Adel und Klerus. Auch das einfache und arme Volk, die Bettler und Huren, Raufbolde, Krüppel und Säufer liebten ihn als einen der ihren und sahen sich in seinen Bildern eben nicht nur in ihrer Wirklichkeit dargestellt, sondern sogar zu Heiligen erhoben. Caravaggio hatte keine Schüler. Aber schon bald nach seinem Tod brach sich sein europaweiter Einfluss Bahn, eine Begeisterung in der Kunstwelt, der man später den Namen Caravaggismus gab.

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