Das Klavierduo Hayashizaki-Hagemann musizierte im Reutlinger Spitalhofsaal für „Soroptimist“ und das Prostituierten-Projekt „Sisters“
REUTLINGEN. Das passte perfekt: „Soroptimist“ heißt eine Charity-Organisation berufstätiger Frauen, die weltweit fast 70 000 und in Reutlingen gut 30 sehr aktive Mitglieder hat. Fast voll besetzt war der Spitalhofsaal am Donnerstagabend, als sich Shoko Hayashizaki – Club-Schwester in Tübingen – und ihr Mann Michael Hagemann (Leiter der „musica nova“) an den Steinway-Flügel setzten, um zugunsten des Ausstiegsprojekts „Sisters“ für Prostituierte zu musizieren – und zwar auf ein grandioses Frauenstück hin: das „Grand Duo“, das die Wienerin Leopoldine Blahetka im Jahr 1839 ihrer großen Pianisten-Kollegin Clara Wieck (später Schumann) gewidmet hatte.
Natürlich passte auch der Einstieg und weckte entsprechende Gefühle: Mit dem für Klavier zu vier Händen bearbeiteten Konzertwalzer „Frühlingsstimmen“ opus 410 von Johann Strauß Sohn begann das Paar. Die Bezüge gingen weiter. Ignaz Moscheles (1794 bis 1870) war in Wien nicht nur (neben Beethoven höchstselbst) Lehrer der jungen Leopoldine Blahetka, sondern unter anderem auch der von Felix Mendelssohn Bartholdy.
Dieser große Pädagoge aus Leipzig schuf eine Art Lehrwerk, vierhändig zu spielen, das Eleven und ihren Lehrern auch heute noch weit mehr Spaß bereiten könnte als ein Czerny oder gar ein Hanon: „Tägliche Studien über die harmonisierten Scalen opus 107…“ nannte er den Zyklus von 59 hinreißenden Charakterstücken, woraus das Duo Hayashizaki-Hagemann 16 ebenso virtuose wie ungemein charmante Beispiele darbot. Manchmal mag Michael Hagemanns Pedaleinsatz dabei für die dichten Läufe – Tonleitern aufwärts, abwärts, gegenläufig – etwas zu freigiebig gewesen sein.
Die Polka „Vielliebchen“ opus 68 des Wiener Theaterkomponisten Karl Hofmann (1835 bis 1909) leitete nicht nur in die Snack-Pause über, sondern auch auf das zentrale Werk des Abends hin, das Leopoldine Blahetka, die europaweit hochgeehrt und geachtet 1885 in Boulogne-sur-Mer starb, als junge Frau, gereiftes und konzertreisendes Wunderkind, nicht zuletzt für das kaiserliche Wien, die Weltmetropole der Musik komponiert hatte, wo sie auch mit Schubert, Chopin, Paganini und vielen anderen großen Musikern Kontakt und Austausch gehabt hatte.
Robert Schumann nannte ihr Spiel zwar „echt weiblich, zart, besonnen und ausgearbeitet“. Das passte aber auf dieses fast schon monumentale Stück nicht so ganz, das in vielen Passagen mit einer virtuosen Wucht und Wildheit, einem auch von Tanz und Volkston unterfütterten Temperament und einer musikalischen Urgewalt einherrauscht wie ein Tsunami, mindestens ein Sturmwind, immer wieder unterbrochen vom sanften Säuseln eines zart, weich und warm wehenden frühlingshaften Lüftchens. Das Tübinger Musikerpaar hat dieses geradezu rhapsodische, fast wie eine einzige riesige Variation gestaltete Grand Duo in fis -moll opus 47 im vergangenen Jahr eingespielt und ist dafür völlig zurecht für den Deutschen Schallplattenpreis nominiert worden.

Nicht nur das sich blind verstehende Zusammenspiel des Duos beeindruckte die Zuhörer tief, sondern auch die glitzernden Höhen in Shoko Hiyashizakis (rechtem, oberen) Part und die kraftvolle Klarheit von Michael Hagemann in seinen Tiefen und beider scherelos flinjke Läufe. Jubelnder Beifall war der Dank der Publikums, der wiederum mit zwei Zugaben belohnt wurde, darunter einer weiteren irrwitzig virtuosen chromatischen Skala von Ignaz Moscheles.
Als Reutlinger Soroptimist-Präsidentin hatte Annette Lachenmann in ihrem Dank noch einmal auf die „Sister“-Arbeit zur Ausstiegshilfe für Prostituierte hingewiesen (in diesem für Freier und Zuhälter gar so liberalen Prostitutions-Paradies Deutschland) – und auf die noch bis zum 22. März in der Reutlinger VHS laufende Fotoausstellung „gesichtslos“.

