Musik

Akademischer Chor – Bruckner zum Jubiläum

Philipp Amelung dirigierte zum 25-jährigen Bestehen des Uni-Chors Anton Bruckners Messe in d-Moll mit Klavierduo-Begleitung

TÜBINGEN. Gleich zwei Jubiläen feierte der Akademische Chor der Universität Tübingen am Sonntagabend: das eigene 25-jährige Bestehen und den 200. Geburtstag des Komponisten Anton Bruckner.

Wenn man’s genau nimmt, wird der Chorgesang an der Uni schon seit Silchers Zeit gepflegt: Als Universitätsmusikdirektor etablierte er 1829 die „Akademische Liedertafel“, damals als Männerchor. Wieviele seither im Chor mitgesungen haben, wie oft dieser aufgelöst und neu gegründet wurde, ist nicht zu ermitteln. Jedenfalls gründete 1999 der damalige UMD Tobias Hiller zusätzlich zum Akademischen Orchester und dem Kammerchor „Camerata Vocalis“ den großen „Akademischen Chor“, der 2011 durch UMD Philipp Amelung übernommen und seither erfolgreich weiter geführt wurde.

Das Festkonzert im Festsaal der Neuen Aula war eher mäßig besucht; die drei vorderen Reihen mit den Zetteln für die Ehrengäste blieben (bis auf einen besetzten Stuhl) leer, das Publikum war ansonsten vergleichsweise jung.

UMD Philipp Amelung. Privatbild

Als Festmusik hatten Philipp Amelung und sein Chor passend zum Bruckner-Jahr dessen Messe Nr. 1 d-Moll ausgewählt und Auszüge aus Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ in der vierhändigen Klavierfassung von Engelbert Humperdinck vorangestellt – als Ouvertüre und Gegenstück zugleich, vorgetragen vom Klavierduo Shoko Hayashizaki-Michael Hagemann. Die beiden sind sowohl für ihr tadelloses Duospiel wie für ihre Affinität zu Neuer Musik bekannt und erwiesen sich als feinsinnige Wagner-Interpreten, die den intimen Charakter dieser Klavierfassung ebenso wie den Kontrast zwischen zartem Flüstern und überwältigender Größe betonten.

Shoko Hayashitzaki und Michael Hagemann. Archivfoto: Martin Bernklau

Anton Bruckner war bekennender Wagner-Verehrer und hat ihm in seiner Sinfonik gehuldigt. Ob die Textausdeutung in der Messe (Credo) von dessen Opern-Dramatik inspiriert war oder einfach gängige katholische Muster befolgte, sei dahingestellt. Auf jeden Fall hat Bruckner seine erste Messvertonung sinfonisch angelegt, dem Orchester kommt – eigentlich – eine tragende Rolle zu.

Warum spielt das Akademische Orchester nicht mit? Hier wird nämlich nur eine Bearbeitung für Soli, Chor, 2 Klaviere und Pauken ad libitum aufgeführt, deren Anlage als eine Art Klavierauszug mit Pauken sich als problematisch erweist. Denn der Akademische Chor zeigt sich mit seinen 60 jungen Sängern (darunter 38 Frauenstimmen) so stark besetzt und aufgrund der konsequenten Schulung durch Philipp Amelung als dermaßen leistungsfähig, dass der starke Chorklang die beiden Konzertflügel großteils überdeckt, auch wenn das Duo Hayashizaki-Hagemann das Orchester in respektabler Weise ersetzt. Die Pauken grundieren die Aussage durch einen tendenziell martialischen Unterton.

Doch diese reduzierte Fassung hat auch Vorteile: Zum einen kommt der beeindruckend sichere und lupenrein intonierende Chor bestens zur Geltung, zum andern Bruckners besonderer Stil. Philipp Amelung lässt mit seinem präzisen Dirigat die Partitur akribisch umsetzen; die Choristen gestalten die schroffen Dynamik-Kontraste genauso wie den kantigen Satz, die kontrapunktischen Abschnitte und unbequemen Rückungen sowie die exzentrische Harmonik mit Disziplin und Leidenschaft.

Das klingt tatsächlich wie Neue Musik, Bruckners Messe von 1864 überholt in puncto Fortschrittlichkeit den zuvor gehörten „Parsifal“ (entstanden von 1877 bis 1880) um Längen, die chorischen Mess-Sätze sprechen eine geradezu expressiv aufgeladene Sprache.

Philipp Amelung dirigiert im Festsaal den Akademischen Chor mit den Vokalsolisten und dem Klavierduo Hayashizaki-Hagemann. Fotos: Susanne Eckstein

Die vier Solisten (Franziska Bobe, Annekathrin Laabs, Gustavo M. Sanchez und Kai Preußker) passen sich stimmschön und stilvoll in dieses avancierte geistliche Drama ein; es irritiert allerdings, dass sie je einzeln zum Singen vom Stuhl aufstehen und sich wieder setzen.

Das Gloria jubelt nicht, es klagt; die Auferstehung bricht mit beängstigender, übermenschlicher Kraft über uns herein, und die etwas konventionelleren Sätze von Sanctus bis Agnus Dei versöhnen Mensch und Gott, Zuhörer und Musik erst im allerletzten Moment, wenn die Friedensbitte – ohne Pauken – anrührend sanft verklingt. – Lauter Jubel, anhaltender Applaus.

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