Musik

Uni-Festsaal: Cello-Gala vom Feinsten

Der junge Australier Sam Lucas und sein Klavierpartner Paulius Andersson begeistern im Tübinger Uni-Festsaal

TÜBINGEN. Da ist alles perfekt und von einer fast beiläufigen Selbstverständlichkeit: die Bogentechnik, die Geläufigkeit, die Intonation – und sein ganzes langes Abendprogramm spielte Sam Lucas auswendig. Der junge australische Cellist hatte am Montagabend beim Konzert im Festsaal der Tübinger Universität dazu noch einen phänomenalen Klavierbegleiter an seiner Seite. Paulius Andersson, litauisch-dänischer Herkunft mit frischem Konzert-Examen bei Kevin Kenner, saß am Steinway. Der Besuch war ordentlich, hätte aber noch ein bisschen besser ausfallen können. Man weiß: Kammermusik zieht nicht so die Massen an.

Paul Hindemiths Phantasiestück H-Dur opus 8 Nr. 2, das der 22-jährige ausgebildete Streicher 1917 mitten im Ersten Weltkrieg schrieb, war ein passendes, technisch schon sehr anspruchsvolles Entrée. Man mag in die eruptiv dramatischen Passagen den Kanonendonner hineininterpretieren, in die lyrischen Hoffnung und Friedenssehnsucht. Das Juwel zeigt aber doch eher einen romantischen Musiker in seinem Streben, die Grenzen der Tonalität zu erweitern. Schon hier fiel neben der Technik und der feinen Tongebung des Cellisten sein Begleiter auf: uneitel rücksichtsvoll und aufmerksam, ganz empathisch, aber doch von solistischer Anschlags-Brillanz, wenn sich dafür Freiräume boten. Wunderbar das sphärisch zarte hohe H am Schluss.

Der Norweger hatte es schwer am Nabel der Musikwelt, in Leipzig, wo er studiert hatte. Seine Sonate für Violoncello und Klavier a-moll fiel vollkommen durch bei der gnadenlosen Kritik („skandinavische Mätzchen“) im Gewandhaus. Aber auch der Selbstkritik des bescheidenen Skandinaviers hielt das Stück nicht recht stand. In seinem 40. Lebensjahr stehend, fand Edvard Grieg keine kompositorischen Fortschritte darin. Und dennoch fand die etwas rhetorisch-rhapsodische Sonate Anklang bei den Cellisten wie den Pianisten und ihren Platz auf den Podien. Vielleicht gerade wegen ihrer folkloristischen Farben, ihres musikantischen Schwungs, ihrer verträumt lyrischen Melodik und des hohen virtuosen Anspruchs für beide Instrumente. Der unangebrachte, aber verständliche Beifall des Publikums am pathetischen Schluss des ersten Satzes war vielleicht ein Symptom für die von Grieg fast demonstrativ eingesetzte Rhetorik.

Noch weit subjektiver, tonmalerischer und übermütiger gestaltete der Argeninier Alberto Ginastera (1916 bis 1983) seine Pampeana Nr. 2 opus 21, fast schon eine Art post-romantischer Programm-Musik über die Landschaft der Heimat, samt donnernden Stampede-Galopps von Rinderherden und ruhendem Blick in endlos weite Ebenen. Ein glanzvolles Paradestück ist es, etwas zu lang für ein Encore, voll von avancierten Spieltechniken – Doppelgriff-Glissandi, wilde Läufe, Klavier-Cluster – und von Atmosphäre.

Mit Sergej Rachmaninoffs 1901 entstandener Cello-Sonate g-moll opus 19 stand ein weiteres Stück Romantik an, das zentrale Werk des Abends als Finale, wiederum von rhapsodischen Kontrasten, einem freien Erzählen und höchster Virtuosität geprägt. Rachmaninoff (1873 bis 1943), der Pianist mit den Löwenpranken, hatte mit seinen Klavierkonzerten schon weltweit Erfolg und übertrug diesen Reichtum an Gesten, Gestalten und Melodik samt einer halsbrecherisch expressiven Spieltechnik neben seinem eigenen Instrument nun auch auf ein Cello. Eben hatte er eine Depression durchstanden.

Großartig, wie fein und präzise abgestimmt, wie wunderbar dialogisch die beiden jungen Musiker durch diese Wechsel von Intermezzi kantablen spätromantischen Schmachtens und wilden Virtuosen-Eruptionen gingen, die sich im Finale, einem tänzerischen Bacchanal, ins rauschhafte Dur wenden. Den Pianisten hätte man sich mit seiner unglaublichen Geläufigkeit, der Wucht seiner Akkorde und dem glitzernd-pointierten Anschlag gern als fulminanten Solisten gewünscht. Für die immensen technischen Fertigkeiten von Sam Lucas am Cello mögen nur die absolut präzisen Pizzicati oder der unglaublich anstrengungslos dargebotene „Ricochet“-Springbogen erwähnt sein, von den wunderbaren Phrasierungen, einem groß aufblühenden Ton und einer betörenden Klangkultur nicht zu reden.

Der wundervoll leise Schluss wäre originell gewesen. Aber dann kam noch eine hinreißend fulminante Coda, der das Publikum begeisterte Beifallsstürme und Bravorufe folgen ließ. Als Zugabe erklang dafür ein weiteres Mal – noch zarter, noch sphärischer, noch elegischer vielleicht, stellenweise fast wie ein Wiegenlied – der dritte Satz der Rachmaninoff-Sonate, das Andante.

Eine Entdeckung, ja. Nichts steht dem Sprung dieser beiden fantastischen Musiker an die absolute Spitze entgegen, als Duo wie solistisch. Alles da! Sogar ein Quentchen mehr. Aber Glück braucht es auch immer dazu.

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