Bühne

Tonne – Der Sound zur Sage

An der Reutlinger Tonne gibt es den „Black Rider“, das amerikanische Musical zur „Freischütz“-Sage

REUTLINGEN. Das ist nicht mehr nur Theater mit viel Musik, wie es gerade so en vogue ist. Das ist ein ausgewachsenes Musical. Die Tonne hat „Black Rider“ aufgenommen, jene amerikanische Adaption der „Freischütz“-Saga vom Schwarzen Reiter, für die das Regie-Genie Robert Wilson (Heiner Müller verehrte ihn), der Beatnik William S. Borroughs und der großartige Tom Waits mit seiner Musik Pate standen. In den Neunzigern war die deutsche Fassung ein Kulterfolg am Hamburger Thalia. Auch das Tübinger LTT hat sich des teuflischen Stoffs schon angenommen. Und jetzt also Tonne, in einer Inszenierung von Tobias Dömer.

Der rot verhüllte e Teufel in der Mitten. Fotos: Beate Armbruster/Tonne

Dömer lässt seine Akteure beim Einlass des Publikums gelangweilt herumlungern vor der Bühne, die Elizaweta Veprinskaja sehr sophisticated und abstrakt gestaltet hat. Über dieses Fensterladen-Viereck mit viel Jägergrün in Neon-Variante hat sie ganz weit oben die fünfköpfige Combo von Johannes Wasikowski platziert, die je nach Bedarf von Michael Schneider, der auch den Vater Bertram spielt, und David Liske, dem virilen Jägerburschen Robert, ergänzt wird. Die erste Leitfarbe: Grün ist das Gewehr, grün der volle Mond, der als Projektionsfläche für die Videos aus dem mit Schleier abgetrennten Backstage-Bereich dient. Blutrot wird folgen.

Die Förstereltern Bertram – ein kraftvoller Einstieg von Michael Schneider – und Anne (Chrysi Taoussanis) wollen ihr Käthchen (zerbrechlich schön und doch voll Energie: Marlene Goksch) dem zünftigen Waidmann Robert zur Frau geben, das aber mehr Gefallen an dem krawattetragenden Schreiber Wilhelm (etwas schüchtern über sein Rollenprofil hinaus: Richard Kipp) findet. Seine Nebenrolle als Onkel füllt auch Magnus Pflüger gut aus. Den fälligen Schieß-Eignungstest kann das kurzbehoste intellektuelle Bübchen nur mit Hilfe des Stelzfuß-Samiel (sehr vielschichtig-verschlagen: Jonas Breitstadt), der ihm die teuflischen Zauberkugeln gießt und eine zurückbehält. „The Casting of the Magic Bullet“ lautet der originale Untertitel.

Viele Kugeln, viele Leichen.

Die mit englischen und deutschen Reimen und Lebensweisheiten ironisch gespickte Geschichte, die auch Anspielungen an den Beatnik-Junkie William S. Borroughs aufweist, der beim Tell-Apfelschuss-Spiel in den Fünfzigern und im mexikanischen Exil wohl im Suff seine Frau Joan Vollmer erschossen hatte, endet im Gegensatz zur Weber-Oper mit dem Tod der inzwischen in grelles Rot gekleideten Braut. Sie spuckt Blut.

Das Käthchen (Marlene Goksch) und sein Teufel Stelzfuß (Jonas Breitstadt) – unmaskiert. Fotos: Armbruster/Tonne

Die Story tritt gerade in dieser Reutlinger Version doch zurück hinter den unvergleichlichen Songs von Tom Waits, die eine richtig begeisterte Band bestechend gut wiedergibt. Und entsprechend wird das Singen der Akteure wichtiger gegenüber der Schauspielkunst. Sie machen das alle gut – voran der Musiker Michael Schneider, der großartige David Liske und auch die energisch-rebellische Marlene Goksch. Aber die Natur hat nicht alle mit gleicher Stimmkraft bedacht…

Eine runde Sache wird das trotzdem, mit ausgeprägte amerikanischem Touch hinter der romantischen Sage. Begeisterter Beifall auch bei der nicht ganz so gut besuchten Sonntagsvorstellung. Für Fans von Toim Waits und Musical-Junkies ein Muss und auch für Freunde der Schauspielkunst und des klassischen Theaters, vielleicht sogar für Opernliebhaber mal eine sehr schöne Abwechslung oder Ergänzung.

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