Musik

Stiftskirche – Abschluss mit Bruckner

Ingo Bredenbachs BachChor, die Camerata viva und vier Vokalsolisten beendeten die „Leer_Raum“-Wochen in der Tübinger Stiftskirche feierlich mit Anton Bruckners Messe in f-Moll

TÜBINGEN. Eine katholische Messe – vom katholischsten aller Komponisten – in der evangelischen Stiftskirche St. Georg: Anton Bruckners Messe in f-Moll bildete am Sonntagabend den Abschluss der „Leer_Raum“-Wochen mit einem von Bänken freigeräumtem Mittelschiff. Dort hatten sich der große BachChor in halbrunder Doppelreihe, die Camerata viva und vier Vokalsolisten mit Blick auf ihren Dirigenten Ingo Bredenbach und zur Neckarseite hin aufgestellt. Auch akustisch ein Novum. Von sonst 1200 Plätzen des gotischen Gotteshauses blieben in den Seitenschiffen und auf den Emporen um die 700 übrig, von denen gut drei Viertel besetzt waren.

Abschluss der Leer-Raum-Wochen mit Bruckners Messe in f: BachChor und Camerata viva. Fotos: Martin Bernklau

Der fromme Anton Bruckner (1824 bis 1893) mit seinem angeblich so schlichten Gemüt ist ein Solitär, die Messe f-Moll ein Monument, die letzte und ihm liebste, nach der 1. Sinfonie als Höhepunkt nicht nur seiner mittleren Schaffenszeit 1867/68 entstanden und, wie alles beim bescheidenen, selbstkritischen und unsicheren Bruckner, mehrfach überarbeitet. Zu den Gründen dafür zählten auch die hohen technischen Ansprüche an alle Musiker.

Vor allem der BachChor, nicht frei gemischt postiert wie sonst oft, erfüllte diese Anforderungen fast durchweg ganz ausgezeichnet. Die tonangebenden Streicher der Camerata viva, deren Stimmführer oft auch solistisch hervortraten, wirkten allerdings mit ihrem vibratofreien Klang schon in der langsam leisen Einleitung zum Kyrie vielleicht etwas trocken, nüchtern, spröde. Die Bläser schienen einen geschmeidigeren Klang pflegen zu wollen, gaben mit einem soliden Blech eine zuverlässige Basis und hatten bis zur Flöte im Benedictus und zur flehend elegischen Schlussfigur der Oboe im „Dona nobis pacem“ auch viele wunderschöne Solostellen.

Den Vokalsolisten hat Bruckner zwar keine Parade-Partien geschrieben (es gibt keine Arien), aber gleichfalls sehr schwierige Aufgaben zugewiesen, manchmal nur mit knappen, oft chromatischen, oft harmonisch geradezu verqueren Einwürfen. Sopranistin Christine Reber, die junge Altistin Pauline Stöhr, Bernhard Schneider (Tenor) und Bariton Georg Gädker lösten diese Ansprüche vollkommen ein, soweit man das von einem Platz am Kopfende der Empore differenziert beurteilen konnte. Mittig zwischen der doppelten Chorreihe und dem Orchester postiert, schienen sie auch akustisch ganz organisch aus dem gesamten Klangkörper herauszuwachsen, zuweilen auch strahlend aufzublühen. Und im Quartett , etwa zum Ende des „Credo“ hin, erwiesen sie sich auch in Phrasierung und Färbung als sehr homogen.

Auch dem Chor gelang das sehr häufig betörend schön, gerade bei leisen Stellen, die sich geschmackvoll verdichteten oder auch mal zum großen Pleno auftürmten (auf die obligate Orgel, die Bruckner seinerzeit selber schlug, hatte man verzichtet), oder erst recht, wenn der Klang in zartestes Piano verschlankte. Sehr schön hatte Ingo Bredenbach neben dem motivischen Gefüge auch die Rhetorik von Bruckners Satz herausgearbeitet, der zwar die traditionellen Konventionen kennt, zuweilen aber auch konterkariert oder variiert, etwa im sanften, fast filigranen Beginn des „Sanctus“; oder in einem „Ressurrexit“, das statt mit triumphaler Forte-Pracht mit einer harmonischen Rückung überrascht; oder einem ungewöhnlich langem „Benedictus“ (mit knappem „Hosanna“), das seine Kantilenen auf viele Stimmen verteilt.

Hin und wieder gab es Unsicherheiten zwischen Chor und Orchester bei Bruckners kühnen Modulationen oder Melismen, die ja einen Gegensatz zur oft repetitiven Terrassen-Harmonik Bruckners bilden, aber doch immer auch eine Einheit darstellen. So, wie in den Fugen – die verstiegene Schlussfuge des „Gloria“ war sauber ausgearbeitet, geriet vielleicht ein wenig zäh – die Vielstimmungkeit in eine scheinbare Homophonie eingebettet ist.

Wie anstrengend diese eineinviertel Stunden Bruckner-Messe gerade auch für einen Chor sind, hörte man beim abschließenden „Agnus dei“ dann doch ein wenig. Zwar behielt der BachChor seine schöne Stimmkultur bei, ließ aber ein wenig an Kraft und Spannung nach, gerade bei den schwierigen Rhythmisierungen oder in der Klangbalance mit der Camerata viva.

Langer, begeisterter Beifall – von allen vier Seiten – für Ingo Bredenbach, den BachChor, die Camerata viva und die Vokalsolisten der Bruckner-Messe. Foto: Martin Bernklau

Aber diese Bruckner-Messe als Abschluss und Höhepunkt wird wie das gesamte Leer-Raum-Experiment noch lang in Erinnerung bleiben.

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