Nach der Vertragsverlängerung mit den Württembergischen Philharmonikern dirigierte Ariane Matiakh in der Reutlinger Stadthalle das 4. Sinfoniekonzert – mit dem arabisch-israelischen Klaviersolisten Saleem Ashkar
REUTLINGEN. Eben war oben im Foyer von Oberbürgermeister Thomas Keck die Vertragsverlängerung mit Ariane Matiakh als Chefdirigentin der Württembergischen Philharmonie um weitere drei Jahre unterzeichnet worden, da trat sie am Montagabend gemeinsam mit dem israelischen Pianisten Saleem Ashkar zum 4. Sinfoniekonzert der Saison vor die vollbesetzten Reihen in der Reutlinger Stadthalle. Das 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms stand an, dazu Antonin Dvořáks vorletzte, die 8. Sinfonie in G-Dur.

Der 1978 in Nazareth als Sohn arabischer Christen geborene Saleem Ashkar führt mit seinem Galilee Chamber Orchestra den Versuch seines Entdeckers Daniel Barenboim weiter, über die Musik zum Frieden zwischen der jüdischen und der arabischen Community, zwischen Israel und den Palästinensern beizutragen. Als Klaviersolist begann er seine Karriere 1999 in der New Yorker Carnegie Hall. Ashkar gilt als Beethoven-Spezialist und lebt in Berlin.
Der extrem selbstkritische Johannes Brahms hat sechs Jahre gebraucht, um nach der hymnischen Ermutigung durch seinen väterlichen Freund Robert Schumann im Jahr 1859 sein erstes sinfonisches Werk zu veröffentlichen: das 1. Klavierkonzert in d-Moll. Da war der Förderer längst tot. Die innige Beziehung zur Witwe Clara Schumann aber lebte und blühte weiter und fand im Adagio vielleicht ihren schönsten musikalischen Ausdruck. Brahms nannte ihn ein „sanftes Portrait“ der tief verehrten Freundin. Liebe in Tönen.
Diesen Mittelsatz spielte Saleem Ashkar auch als zärtlichen Dialog gegenläufiger Bewegungen, wie auf dem Silbertablett getragen von einem äußerst einfühlsamen Orchester. Den wuchtigen Kopfsatz hingegen hatte Ariane Matiakh mit aller jugendlichen Kraft des vorgeschriebenen Maestoso spielen lassen. Die ausgeprägte Agogik kippte bei allem Pathos freilich nie ins Kitschige.

Vielleicht fiel hier der Klavierpart, der in vielen pianistisch anspruchsvollen Parallelen schwelgt, etwas oberstimmenlastig aus. Der Transparenz hätte es gutgetan, wenn Saleem Ashkar seinen kristallinen Anschlag auch etwas mehr der klanglichen Mitte hätte zuteil werden lassen. Das war im finalen Rondo besser ausbalanciert, dessen inneres Tempo nicht nur im Fugato etwas stürmisch Drängendes hatte. Die dynamischen Kontraste waren im Orchester sehr fein ausgearbeitet und mit dem Solisten präzise abgestimmt.

Der von Bravorufen durchsetzte, fast frenetische Beifall eines begeisterten Publikums brachte eine sehr passende Zugabe ein. Saleem Ashkar spielte „Von fremden Ländern und Menschen“ aus Robert Schumanns „Kinderszenen“ nicht nur fast wie eine Träumerei, sondern wie ein geradezu himmlisch zärtliches Schlummerlied.
Dvořáks achte Sinfonie ist keineswegs ein vergeistigtes Spätwerk von formaler Strenge, sondern eher das Gegenteil: ein frisches, streckenweise fast rhapsodisch freies Stück von vitaler Kraft und kontrastreichen Stimmungen, in denen sich die ländlichen Bilder seiner Sommerfrische, aber auch die Freude über eine kaiserliche Ehrung widerspiegeln. Der schwingende Walzerrhythmus des dritten Satzes, Allegretto grazioso, soll auch eine Hommage an den neugewonnenen Freund Tschaikowsky sein.
Brahms übrigens, der Förderer Dvořáks, hatte früh dessen unerschöpflichen Einfallsreichtum gepriesen. Das Orchester genoss das geradezu, wie gerade in dieser Sinfonie die Stimmen und Gruppen in immer wieder neuen Kombinationen eingesetzt werden, ob lyrisch, ländlich, liedhaft oder in feierlichem Choralton, rustikal, folkloristisch und tänzerisch oder in der von alarmhaften Signalen eingeleiteten Jagd des Finales. Von „ma non troppo“ wollte Ariane Matiakh allenfalls in den pastoralen Zwischenspielen etwas wissen. Sie nahm das ganz sportiv und sprang bei diesen grandiosen Steigerungen regelrecht auf ihrem Podest herum: ein Jubelfest von ungeheurer Vitalität, dabei aber auch von bewundernswerter Präzision. Ihr Stil.
Dem Jubel der Zuhörer folgte als Dank eine Zugabe, was eher selten vorkommt bei Sinfoniekonzerten: der populärste der Ungarischen Tänze von Johannes Brahms.
