Musik

Orgelsommer RT – Krönung in Gönningen

An der kleinen denkmalgeschützten Engelfried-Orgel in der Gönninger Dorfkirche krönte die Organistin Natalia Ryabkova den Reutlinger Orgelsommer.

REUTLINGEN-GÖNNINGEN. Den Reutlinger Orgelsommer beschließt traditionell ein Auswärtskonzert in Gönningen, weil zu diesem Termin das Reutlinger Weindorf die Marienkirche umringt. Allerdings findet meist nur ein Teil des städtischen Publikums den Weg dorthin. Das Besondere an der Gönninger Dorfkirche ist neben dem Tuffstein und der natürlichen Akustik ihre Orgel: Sie wurde anno 1844 durch Franz Xaver Engelfried erbaut und hat (nach diversen Umbauten und Restaurierungen) ihr frühromantisches Klangbild bewahrt.

Der Prospekt der Gönninger Orgel, 1844 durch Franz Xaver Engelfried erbaut . Fotos: Susanne Eckstein

Aber weitgehend auch die alte Bau- und Spieltechnik: Sie besitzt nur 24 Register und ist ohne die später erfundenen Koppeln, Schweller, Setzeranlagen etc. für Orgelmusik der Spätromantik und Moderne nur bedingt geeignet. Außerdem ist sie störungsanfällig, hie und da kann etwas hängen. Frühere Orgelsommerleiter mussten oft genug einen Warnhinweis ans Publikum aussprechen, auch diesmal wurde im Vorfeld das Reparaturset gebraucht.

All das ficht die gastierenden Organisten nicht an. Diesmal wagt Natalia Ryabkova ein Konzert auf der Denkmalorgel: Aufgewachsen und pianistisch ausgebildet in Russland, hat sie in Tübingen Kirchenmusik studiert und als Assistentin des Stiftsorganisten Ingo Bredenbach gearbeitet; derzeit ist sie (unter anderem) Leiterin der Botnanger Kantorei in Stuttgart.

In Gönningen spielte sie am Samstagabend dieselbe Werkfolge wie wenige Tage zuvor in der Tübinger Stiftskirche, diesmal unter dem Motto „Thema mit Variationen“: Stücke von Schumann, Reger, Karg-Elert, Franck, Gigout und Dupré. Die meisten stammen aus der Zeit um 1900 – wie vertragen sich die mit der kleinen Gönninger Denkmalorgel?

Die Engelfried-Orgel im lichten Raum. Foto: OrganArt Media

Zunächst stellt Natalia Ryabkova Bachs Präludium und Fuge Es-Dur BWV 552 voran. Hier zeigt sie technisches Können und große Klanglust, dem bekannten Bach’schen Meisterwerk verleiht sie reiche Fülle, Kraft und Schwung.

Als Reverenz an die Frühromantik kann man Schumanns „Stücke in kanonischer Form“ op. 56 verstehen. Man merkt den beiden „innigen“ Nummern 2 und 4 an, dass sie für Pedalflügel komponiert sind; die Orgelmechanik ist dem raschen, pianistischen Zugriff von Natalia Ryabkova gerade so gewachsen.

Daneben hätte sie eventuell einen ruhigen, kantablen Originalsatz jener Epoche heranziehen können, um den sanften „Wind“ dieser Orgel zur Geltung zu bringen; stattdessen vollzieht sie einen Sprung zu der Zeit um 1900, zu Max Reger und Sigfrid Karg-Elert (dem der aktuelle Tübinger Orgelsommer gewidmet ist). Obgleich sie als vergleichsweise „historisch“ inspirierte Kompositionen eine Toccata und das „Präambulum Festivum“ wählt und flink umsetzt, wirken beide – mit Verlaub – unvorteilhaft. Hätten mehr Ruhe und Struktur geholfen? Mehr Freude macht danach César Francks „Prélude, fugue et variation“ op. 18 (von 1864) mit einer lieblichen Solokantilene, exquisiten Farbmischungen und sinnfälligem Registerwechsel.

Die folgenden Stücke präsentieren nicht die typische nuancenreiche Ausdruckskunst ihrer Epoche, sondern huldigen erneut schlichten Vorbildern: Karg-Elerts „Bourrée et Musette“ aus op. 37 als fröhliche quasi-barocke Tanzmusik, Eugène Gigouts Scherzo in E-Dur als unbeschwerte Unterhaltungsmusik, von Natalia Ryabkova offenbar mit Blick auf die Dorfkirche und ihre Orgel ausgewählt. Diese Musik passt wunderbar zum Sommerabend auf dem Land.

Gönningen und seine Dorfkirche aus örtlichem Tuff – und mit weithin gerühmter Akustik.
Foto: Ev.Kirchengemeinde Gönningen

Schwieriger wird es zum Schluss mit dem „spätesten“ Stück des Abends: Marcel Duprés „Prélude et Fugue“ op. 7 Nr. 3 aus dem Jahr 1912. Mit dieser hochkomplexen, vielfach verflochtenen und vielstimmig geschichteten raumgreifenden Komposition unterstreicht die Organistin das Motto des Abends und ihr unbestreitbares Können, doch weniger den Charakter der Gönninger Denkmalorgel, die sie mit reicher Klangfülle an ihre Grenzen führt. Viel Applaus für die beeindruckende Leistung.

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