Bühne

LTT: Recht und Rache – Kleists „Kohlhaas“

Kleist, erzählen: Dennis Junge, Rolf Kindermann und Lucas Riedle. Bild: Bernklau

In der Tübinger LTT-Werkstatt dramatisiert und kritisiert Annette Müller die Novelle des Preußen-Dichters

TÜBINGEN. Heinrich von Kleist wird schon gewusst haben, warum er seinen Kohlhaas, diesen „rechtschaffendsten und zugleich entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“ nicht dem Käthchen, der Amazonen-Königin Penthesilea, dem Prinzen von Homburg oder dem Dorfrichter Adam an die Seite gestellt hat – auf die Bühne. Das Landestheater geht das Wagnis ein und macht den Versuch, die Erzählung „aus einer alten Chronik“ des 16. Jahrhunderts in ein Drei-Personen-Stück zu dramatisieren.

Diese drei Figuren, von Dennis Junge, Rolf Kindermann und Lucas Riedle gespielt, sind nicht etwa der Rosshändler, seine Frau Lisbeth – einziger Nicht-Mann der Geschichte übrigens – und sein treuer Großknecht Herse, nicht der Widerpart Junker von Tronka, ganz niederer Adel, nicht Vermittler Martin Luther oder die beiden Kurfürsten von Brandenburg und von Sachsen. Nein, Regisseurin Annette Müller stellt drei Rocker in den fast leeren Raum, die das Geschehen um Gerechtigkeit und Recht – nicht Rache eigentlich – bei einem Gelage unter harten Männern, mit Bier ohne Ende oder bis zum Kotzen, einander erzählen.

Die Ebene wird zuweilen dezent gewechselt. Da kommt ein Anruf, das Kind aus der Kita abzuholen; da fließen ein „Okay“, ein „krass“ die „BewohnerInnen“ ein in die wuchtig-sachliche und natürlich historisch klingende Sprache Kleists (manchmal sogar ein Sächseln als subtilem komödiantischem Hauch in der todernsten Angelegenheit). Grundfarbe Schwarz: die Klamotten, das Kanapee, Leder, versteht sich, das Duschvorhang-Plastik einer sich auf den Kühlschrank mit dem Bier hin verjüngenden Bühne. Nur dieser hohe Eisschrank ist silbern und leuchtet von innen, wenn Nachschub nötig ist.

Im Leistungskurs Deutsch bringen die Lehrer einem das als Teichoskopie nahe: Da steht einer auf den Zinnen und schildert das Schlachtgeschehen vor den Toren und der Stadtmauer. Das könnte ermüdend werden. Aber obwohl das Trio dramatische Elemente – Schreien, Flüstern, Mimen und Gestikulieren, Umarmen, Hüpfen auf dem Sofa und Klettern auf den Kühlschrank – nur sehr begrenzt einsetzen kann, zwischendurch als stilisierte Hardrock-Band, hält die Spannung der Story trotz ein paar Längen die ganzen eindreiviertel Stunden doch ganz gut durch. Vor allem bleibt sie nachvollziehbar.

Foto: LTT Tobias Metz

Das zunächst klein erscheinende Unrecht um einen willkürlich verlangten Passierschein steigert sich: Die als Pfand verlangten edlen Reitpferde, Rappen (schwarz!), bekommt der zunächst gutwillig sich fügende Rosshändler als abgemagerte, durch Feldarbeit und Hunger ruinierte Schindmähren zurück, der treue Knecht wird übel misshandelt und zum Krüppel geschlagen, die als Botin eingesetzte Frau kommt zu Tode. Schon den Schein kann oder will eine tumbe Kurfürsten-Bürokratie nicht ausstellen. Kohlhaas läuft Amok, sammelt und bewaffnet eine Bande von Aufständischen um sich, setzt die Städte Lützen und Leipzig in Brand – hier kommt ein einziges Mal rotes Bühnenlicht ins Spiel – und fordert, ihm den verhassten Widersacher und Kleintyrannen Wenzel von Tronka auszuliefern.

Am Ende schafft er sich, die Obrigkeit ihm Gerechtigkeit, und wenn – fiat iustitia, pereat mundus – seine Welt bei diesem Rachefeldzug mit allen Kollateralschäden untergeht. Aber dafür sühnt er seinen blutigen und brandschatzenden Landfriedensbruch mit dem Tod auf dem Schafott. (Die Geschichte von dem vor der Enthauptung verschluckten Zettel mit der düsteren Prophezeiung einer Wahrsagerin für den Kurfürsten fand schon Kafka etwas übertrieben und misslungen).

Man muss, man soll sich diesen Kohlhaas als glücklichen Menschen vorstellen, dem – wie Kleist selber – anders „auf Erden nicht zu helfen war“. Die Regisseurin setzt ein paar Kontrapunkte gegen diese Geschichte von einem paradigmatischen preußisch-deutschen Volkshelden der Marke Robin Hood oder Wilhelm Tell. Das ist männliche, in sinnloser Gewalt endende Gerechtigkeits-Besoffenheit, will sie sagen oder andeuten.

Dass das kein richtiges Theater ist, kann man durchaus einwenden gegen diese Dramatisierung der novellenhaften Erzählung. Es ist schlichte, schlanke, asketische und – wie die knapp an der Wahrnehmbarkeits-Schwelle karg untermalende Musik – minimalistische Inszenierung einer großen Geschichte. Kleist wird gewusst haben, warum er den Stoff nicht für die Bühne zurechtgeschnitten hat. Aber was der Preußen-Dichter damit sagen wollte, das kommt doch schon ganz gut rüber. Und die Kritik daran auch. Das mittelgroße Publikum bei dieser dritten oder vierten Vorstellung des Kohlhaas in der LTT-Werkstatt am Donnerstagabend applaudierte jedenfalls begeistert und ausdauernd.

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