Bühne

LTT – Mixed Pickles, viel Spaß

Mit „Fleisch ist mein Gemüse“ bringt Dominik Günther eine musikalische Revue auf die Bühne – Heinz Strunks Bio und ein Geschwister der „Dorfpunks“

TÜBINGEN. Eigentlich ist es ein fetzig verulktes Cover-Konzert – und rief bei der Premiere am Freitagabend im fast vollbesetzten Großen Saal des Tübinger LTT auch frenetischen Jubel beim Publikum aus. Aber mit „Fleisch ist mein Gemüse“ hatte Heinz Strunk (Jahrgang 1962) einen autobiografischen Roman über seine frühen Zeiten als absturzgefährdeter Mietmusiker geschrieben. Christine Richter-Nilsson hat ihn zu einem Stück verdichtet, das Dominik Günther mit wenig Aufwand – außer der beachtlichen Live-Musik seiner Truppe – auf die LTT-Bühne gebracht hat. Motto: Ein bisschen Spaß muss sein.

Das Multitalent Heinz Strunk ist inzwischen etabliert und erfolgreich. In seinem Roman berichtet er aber über seine Kindheit in Hamburg-Harburg als alleinerzogener Sohn einer psychisch kranken Mutter und über seine mühsamen Jahre als Saxophonist einer Cover-Band, die über Schützenfeste und Bierzelte tingelt. Da spielt dann der Suff bei den Zuhörern und den Musikern („nie besoffener, aber auch nie nüchterner als dein Publikum!“) eine tragende Rolle und wird verherrlicht und verkalauert. Das Umjubeln von Fleisch und Wurst – wie es im Buche steht – dürfte für Vegetarier oder gar Veganer nur als grober Sarkasmus erträglich sein. Später kommt das Daddeln an Automaten hinzu – und immer wieder Depressionen. Schwerer Stoff eigentlich, nur episodenhaft angerissen, aber: Ein bisschen Spaß muss sein.

Strunk ist der Best Buddy und Kumpel von Rocko Schamoni aus dem Trio „Tonstudio Braun“, später Fraktus, dessen „Dorfpunks“ von ebenjenen wilden Jahren der Baby-Boomer mit etwas anderen Schwerpunkten erzählen. Nach dem großen Erfolg der „Dorfpunks“ in der LTT-Werkstatt spitzt Dominik Günther die genre-überschreitenden Mittel noch einmal zu oder treibt sie auf die Spitze – allerdings ziemlich weit weg vom klassischen Theater. Ist die trendige Bühnenfassung literarischer Prosa mit erzählenden und (natürlich gut) rezitierenden Akteuren sowieso schon ein szenischer Seitenweg, so wird das Stück und das ganze Genre hier zum Konzert mit schauspielerischen Einlagen: eine Dekonstruktion. Aber das macht Spaß.

Der Regisseur verfügt über ein tolles Team, das hauptsächlich Comeda bis zu Ulk und Slapstick abliefern soll, und über eine erstaunliche Band, die einen Medley-Querschnitt gibt über Schlager, Neue Deutsche Welle, Pop und klassischen Rock – zwischen Cover, Parodie und Veräppelung. Andreas Guglielmetti spielt diesen Heinz Strunk (dazu Querflöte und Saxophon) vielleicht etwas zu durchgängig jugendlich, aber variantenreich und quicklebendig. Wortwitzelnd und kalauernd wie weiland Triebold, immer einen gereimten Proll-Spruch auf den Lippen, gibt Gilbert Mieroph den etwas schmierigen Manager und Bandleader umwerfend stark.

Mit ihren Nebenrollen als Thorben und Norbert bleiben Dennis Junge und Jannick Radenwaldt etwas in Hintergrund, während der schlaksige Rolf Kindermann seinen Schützenkönig, den Brautvater und seinen Griechenwirt Schorsch hemmungslos überzeichnen darf. Robi Tissi Graf kann das als Groupie Anja oder Susanne , als Wirtin, Frau Sommer und Dr. Vogel auch, wählt aber meist etwas dezentere Spielarten.

Der abgestürzte Strunk (Andreas Guglielmi) braucht notärzliche Hilfe (Robi Tissi Graf), während Gurki (Gilbert Mieroph) bei seiner Musik bleibt und die Mama (Jennifer Kornprobst) still in ihrem gelben Kabuff dem nächsten Selbstmordversuch entgegenvegetiert. Fotos: Martin Bernklau

Die Rolle der seelenkranken Mutter in ihrem kleinen gelben Giebelhäuschen – das praktische, symbolklare und unveränderte Bühnenbild hat wieder Sandra Fox zu verantworten – versieht Jennifer Kornprobst als einzige mit einem Anflug von tragischer Tiefe, fällt aber aus dem Tableau von Comedy-Halligalli nicht völlig heraus.

Aus seinen Laien hat Jörg Wockenfuß als musikalischer Leiter eine wirklich staunenswerte Combo geformt, die sich immer sicherer und spielfreudiger diesen Medleys und Potpourris hingibt, vom soliden Cover (etwa Jethro Tull) über die Parodie bis hin zur gnadenlosen Verarsche. Quer durch den titelgebenden Gemüsegarten geht es da, sozusagen als Mixed Pickels musikalischer Häppchen. Der Spaß war spürbar und hörbar dabei.

Die Truppe lässt sich begeistert feiern. Fotos: Martin Bernklau

Vielleicht muss man in ausgelassener Stimmung sein oder sich auf das Angebot einlassen, um „Fleisch ist mein Gemüse“ mit seinem ganzen hemmungslosen Klamauk so richtig genießen zu können. Das Premierenpublikum war es – viele fanden es kurz vor der Pause sogar klasse, sich einer Polonaise anzuschließen – und sparte nicht mit Johlen und Szenenapplaus nach jeder Nummer. Der frenetische und lange Schlussbeifall nötigte der fulminanten Combo sogar eine musikalische Zugabe ab – sehr gern gegeben.

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