Musik

WPR – Kunst in Zeiten des Kriegs

WPR – Kunst in Zeiten des Kriegs

vlnr: Konzertmeister Timo di Leo, Baritonsolist Yuriy Yurchuk, Dirigentin Ariane Matiakh.

 

Ariane Matiakhs Württembergische Philharmonie eröffnet die Saison in der Reutlinger Stadthalle mit russischer Musik und ukrainischem Solisten

REUTLINGEN. Anna Netrebko, die russische Primadonna assoluta, wird in Berlin wegen ihrer Kunst gefeiert – und geschmäht, weil sie sich nicht zu einer Distanzierung von ihrem Land und ihrem Präsidenten zwingen lassen will. In Reutlingen starten Ariane Matiakh und die Württembergischen Philharmonie die Konzertsaison mit russischen Komponisten und dem ukrainischen Bariton Yuryi Yurchuk. Was für ein Zeichen in Zeiten des Krieges! Was für ein Mut! Und was für ein Konzertabend!

Auch der Streit um den Krieg mag dazu beigetragen haben, dass am Montagabend doch ein paar Plätze unbesetzt blieben zum Saisonstart, den die WPR mit Werken der russischen Komponisten Michail Glinka, Modest Mussorgski und Sergei Rachmaninow gab, die tatsächlich teils auch stark im Zeichen von Krieg und Tod standen.

Der Auftakt war da die Ausnahme: Michail Glinkas „Kamarinskaja“ aus dem europäischen Revolutionsjahr 1848, eine Orchesterfantasie über zwei populäre Volkslieder, hielt Tschaikowsky für den Beginn einer russischen symphonischen Schule. In ihrer tänzerischen Frische und thematischen Dichte ihrer Melodik, aber auch dem Farbglanz ihrer Orchestrierung ist die Fantasie ein spätes Meisterwerk dieses aus Smolensk stammenden Adeligen, der musikalisch als Dilettant begann.

Es ist ein Werk wie geschaffen für den Dirigierstil der Reutlinger Chefdirigentin. Die Präzision ihrer Schlagtechnik, eine eminent feine Ausarbeitung des Klangs mit einem Orchester, das mitgeht und jede Spannung hält, die sind das eine. Etwas ganz Persönliches kommt hinzu: Ariane Matiakh tanzt geradezu auf dem Pult, setzt – ohne alle Eitelkeit und Show – ihren ganzen Körper ein, um in diesen Bewegungen bildhafte Zeichen zu geben, die bis in Nuancen plastisch machen, was für eine Musik sie haben will.

Noch deutlicher wurde das bei den vier „Liedern und Tänzen des Todes“, die Modest Mussorgski in den düsteren Jahren vor 1877 geschrieben hat. Die schwermütigen Texte stammen von einem Freund namens Arseni Golenischtschew-Kutusow. Die Klavierbegleitung hat mit hohem Klangsinn Dimitri Schostakowitsch orchestriert. Der Zyklus gipfelt im Kriegsdonner des „Feldherrn“.

Trotz seines Reichtums an Registern und aller Stimmkraft wirkte der geschmeidige Bariton des ukrainischen Gesangssolisten Yuryi Yurchuk für die Wucht und das Pathos mancher Passagen vielleicht nicht voluminös, nicht tief und dröhnend genug. Aber das ist immer auch Geschmackssache. Zuweilen neigte er eine Spur zum Schleppen, woran sich Ariane Matiakh und ihr hochaufmerksames Orchester sensibel anpassten. Jedenfalls wurde Yurchuk gemeinsam mit der Dirigentin zu Recht gefeiert.

Als Zugabe erklang die Cavatine aus Sergei Rachmaninows Oper „Aleko“, die mit ihrem Titel „Zigeunerlager“ und den gewaltigen Crescendi auch viel Kriegerisches hat.

Die „Sinfonischen Tänze“ opus 45 sind als letztes Werk eine Art Lebensbilanz und Vermächtnis des großen sinfonischen Klavierkomponisten. Rachmaninoff lässt am Ende göttliche Gnade und Glorie über Krieg und Leid, Krankheit und Tod den Sieg davontragen. Dieser Dankgesang eines doch schon Todgeweihten entstand 1940 im amerikanischen Exil auf Long Island und greift mit vollen Händen, seinen legendären Pranken eines Tastenlöwen, auf die ganze Fülle russischer Volksmelodik zurück.

Nach den Ovationen des Publikums gab es als passende Zugabe zu diesem großartigen Konzert, das durchaus als Zeichen von Kunst und Musik für Frieden und Völkerverständigung gedacht sein darf, noch den fröhlich-versöhnlichen ukrainischen Tanz „Hopak“ aus der Mussorgski-Oper „Jahrmarkt von Sorotschinzy“.

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