Franz Schuberts „Winterreise“ mit Bassbariton Krešimir Stražanac und Doriana Tchakarova im Reutlinger Kammermusikzyklus
REUTLINGEN. Wenn ein Opernsänger ins Liedfach wechselt, muss er seine Singtechnik umstellen: von den großen Distanzen des Opernhauses auf die intime Nähe eines kleinen Saals, von weit tragender Lautstärke hin zu Piano-Nuancen, von den plakativen Emotionen zu textorientierten Nuancen. Nicht umsonst absolvieren Liedsänger/innen eine andere Ausbildung als die Opern-Kollegen, gern in Meisterkursen bei erfahrenen Vorbildern, wie sie „bis Corona“ etwa im Rahmen der Herbstlichen Musiktage Bad Urach veranstaltet und bislang leider nicht weitergeführt wurden.
Nun also Krešimir Stražanac, aus Kroatien stammender Bassbariton, ausgebildet an der Stuttgarter Musikhochschule, danach Ensemblemitglied am Opernhaus Zürich, vielfach bewährt und ausgezeichnet als Opern- und Konzertsänger, im vorliegenden Fall durch Doriana Tchakarovas Agentur „PoeMus“ vermittelt an den Reutlinger Kammermusikzyklus, dessen Publikum den kleinen Saal der Stadthalle fast füllte. Sie selbst ist als Pianistin, Dozentin und kompetente Liedbegleiterin bekannt.

Mit Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ haben Stražanac und Tchakarova ein berühmtes Werk der Romantik ausgewählt, mit dem man (vermeintlich) nicht viel falsch machen kann: Es bedient das Klischee von Schuberts Todesnähe, ist beliebt beim Publikum und erspart den Künstlern die Mühe, aus Tausenden Kunstliedern eine eigene Auswahl zu kombinieren.
Der Beginn ist vielversprechend: Stražanacs tiefe, tremolierende Stimme überzeugt durch Fülle und Kraft, Schuberts (und Wilhelm Müllers) programmatisch-ambivalenter Einstieg mit „Gute Nacht“ wird schön phrasiert und individuell durchgestaltet mittels minimaler Verzögerungen, der Text ist gut verständlich; nur der hohe Einsatz auf „Will dich im Traum nicht stören“ wirkt bemüht. Auch im weiteren Verlauf tut sich der Bassbariton naturgemäß schwer mit den hohen Lagen; er bewältigt sie zwar tadellos, kann sie aber nicht modulieren.
In der Folge nimmt das Publikum an einer abwechslungsreichen Reise mit Schubert, Müller und Stražanac vom Liebesschmerz in die Einsamkeit teil, sensibel und sicher am Flügel begleitet von Doriana Tchakarova, die sich der besonderen Rolle von Schuberts Klavierpart offenbar bewusst ist. Positiv fällt auf, dass sie in der „Wasserflut“ nicht das übliche Stolpern über Triolen und punktierte Achtel mitmacht, sondern den Rhythmus angleicht und damit eine schlüssige Interpretation ermöglicht.
Zwar ist der Text nicht durchgehend verständlich, doch der Sänger gestaltet den Wechsel zwischen den Gefühlswelten fesselnd und überzeugend, er verkörpert sinnfällig Unruhe, Erregung und Sehnsucht, gestützt auf seine solide, tonschöne Basslage, etwa im „Irrlicht“, wo die tiefen Abgründe in der Schwärze der Stimme hörbar werden.
Man spürt die Kraftreserven des Opernsängers – und dass er sie bewusst bändigt. Immer wieder gerät er dabei in dramatisches Fahrwasser, was ja durchaus im Sinne des Komponisten sein kann, etwa im „Frühlingstraum“, wo der Sänger Schein und Wirklichkeit in harten Schnitten trennt. Im zweiten Teil überschreitet er zunehmend die Grenze zur theatralischen Larmoyanz, das textorientierte Parlando fällt ihm schwer; doch die scheinbare Wendung zum Guten auf dem letzten Stück der Reise entlarvt er in emotionaler Steigerung als Wahn.

Seine Interpretation des „Leiermanns“ am Ende läuft Schuberts musikalischer Intention allerdings zuwider: Während Schubert Monotonie und innere Leere in hohlen Quinten und öden Wiederholungen vertont, kann der Opernsänger der Versuchung nicht widerstehen, daraus einen tränenreich bewegten Abschied im espressivo-Modus zu machen. Schade! Der Applaus des Publikums fiel – dem Thema entsprechend – vergleichsweise kühl aus, auch wenn er die Interpreten mehrfach aufs Podium zurückholte.
