Intendant Friedemann Rieger, Violin-Partnerin Nora Chastain und der Cellist Francis Gouton im Reutlinger Kammermusikzyklus
REUTLINGEN. Alle drei sind Professoren, vor allem aber mitreißende Musiker. Friedemann Rieger, der Intendant des Kammermusikzyklus, setzte sich am Dienstagabend im kleinen Saal der Reutlinger Stadthalle selber an den Flügel und hatte sich vertraute Partner geladen: die langjährige Duo-Partnerin Nora Chastain (Berlin) mit der Violine und den französischen Cellisten Francis Gouton, der in Trossingen lehrt.
Als kleine, leichtfüßige Charakterwerke heben Robert Schumanns Fantasiestücke für Violoncello und Klavier opus 73 an, verdichten sich aber alle drei aus sanften Melodien bis hin zur Eruption eines „Rasch und mit Feuer“. Vielleicht haben sich die Cellisten am wenigsten von einem Zeitgeist erfassen lassen, der das Vibrato immer sparsamer eingesetzt wissen will. (Dirigent Roger Norrington wollte es, völlig willkürlich, ganz abgeschafft wissen, schuf mit seinem SWR-Orchester damit aber den schlanken, stilprägenden „Stuttgart Sound“.) Francis Gouton setzte es, ganz passend zu solcher Romantik, freudig ein, nie übertrieben, wie er auch das durchaus Virtuose seines Parts nie demonstrativ in den Vordergrund rückte.
Friedemann Rieger, sehr nuanciert, sehr genau, eher partnerschaftlich dienend, sparte sich dieses Virtuose fürs Mendelssohn-Finale auf und überließ in Joaquín Turinas „Sonata espaňola für Violine und Klavier“ opus 82 auch Nora Chastain eher den Vordergrund. Turina (1882 bis 1949) ist so etwas wie ein nationaler Neoromantiker mit impressionistisch französischen Einflüssen.
Nicht nur ein Vibrato aus dem Handgelenk, zuweilen nach einem sachlichen ersten Tonansatz nachverdichtet, passte zu diesem Stil, dem auch Schwelgen und Pathos nicht fremd sind, sondern sogar ein eigentlich verpöntes „Nachdrücken“ – alles mit Maß und viel Geschmack, versteht sich. Ihr berühmtester Lehrer Yehudi Menuhin lobte gern. Aber dass er die Amerikanerin früh als eleganteste ihm bekannte Violinistin pries, war keine gefällige Übertreibung. Ihre Technik ist perfekt, mit einer raschen, aber nie wischenden Bogenführung und absolut präzisen Spielfingern. Und dabei ist sie eine Erz-Musikantin, zu innigster Melodik wie zu vulkanischem Temperament fähig, wie es bei Turina gefragt ist und früher als feurig oder gar „zigeunerhaft“ bezeichnet werden durfte.
In den drei Sätzen von Turinas etwas klassizistischer, aber immer noch folkloristisch und ganz rhetorisch bis zum Pathos gesetztem Klaviertrio Nr. 2 opus 76 traten die drei Musiker dann komplett auf und erwiesen sich als ein Team von höchstem Einvernehmen, das sich in solistischen Episoden gegenseitig ganz den jeweiligen Vortritt ließ und sich im Zusammenklang wunderbar fein abstimmte.
Das Klaviertrio c-Moll opus 66 ist vielleicht nicht das populärste, meistgespielte, aber wohl gewichtigste der Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy für diese Gattung, der 1809, also ein Jahr vor Schumann geboren wurde. Die Pianisten waren von ihm selber vor ihrem immens anspruchsvollen Part als „ein bisschen eklig“ gewarnt. Für Friedemann Rieger waren die halsbrecherischen Läufe kein Problem, wenngleich er nicht zu den Pianisten gehört, die solche rasenden oder perlenden Passagen mit stahlhartem Anschlag noch zusätzlich kristallin glitzern machen, was man dann gern „brillant“ nennt.
Das Trio zeigte im ersten Satz („con fuoco“) sein Gespür für die düstere Größe und für die Struktur des Stücks, im Andante die zärtliche melodische Innigkeit eines Lieds ohne Worte. Das gespenstische Scherzo nahmen Friedemann Rieger, Nora Chastain und Francis Gouton im irrwitzigen Tempo eines bisweilen geradezu ausgeschriebenen Tremendo. Und im kontrastreich hochemotionalen Finale kam die Schwermut ganz zur Geltung, vielleicht die Ahnung seines frühen Todes zu einer Auflösung im Triumph einer Art Glaubenszuversicht, die Mendelssohn den Choral „Vor Deinen Thron tret ich hiermit“ – nicht die einzige Bach-Reverenz – einfügen ließ. Unglaublich, wie geschmeidig er diesen stilistischen Fremdkörper seiner hochexpressiven Kammermusik einzuverleiben wusste, fantastisch, wie die Musiker das umsetzten.
Diese gleichzeitig hochvirtuose und tief emotionale Interpretation feierte das Publikum in einem nicht ganz vollbesetzten Saal begeistert und bekam dafür nach all der Romantik etwas ganz Klassisches als Zugabe: das Menuett, schon fast ein typisches Scherzo aus Beethovens wegweisender Gattungs-Trias, dem Klaviertrio c-Moll opus 1/3, ganz gestisch, ganz rhetorisch gedeutet.