Das Tübinger Zimmertheater (ITZ) startet mit der ersten Episode in seinen Krimi-Siebenteiler „Im Taumel des Zorns“
TÜBINGEN. Sie wollen alles neu und alles anders machen auf dem Theater, dem Zimmertheater mit seiner großen Spielstätte im früheren Kino Löwen, die Ripbergers, Peer Mia, Dieter, samt ihrem Team. Jetzt füllt die Spielzeit ein Siebenteiler mit dem Titel „Im Taumel des Zorns“. Der Krimi könnte sogar als Komödie durchgehen, als Parodie, als Persiflage. Aber das mit vollem Ernst und kunstvoller Verspieltheit.
I. T. Z. – das ITZ ist ja als „Institut für theatrale Zukunftsforschung“ gestartet. Zwischenzeitlich hieß es „Im Tübinger Zimmertheater“. Mittlerweile hat sich das Kürzel ITZ als Marke durchgesetzt. Die drei Buchstaben bieten aber noch mehr an Spielerei. Der etwas altmodisch kitschig klingende Titel der Krimireihe „Im Taumel des Zorns“ , ITdZ also, spielt auch dezent an auf das Stück, mit dem 1958 das Zimmertheater seine erste Premiere gab; John Osbornes „Blick zurück im Zorn“. Aber genug.
Die avantgardistische Spielerei auf den Text von Regisseur Peer Mia Ripberger trägt viele klassische Züge. Da ist eine aristotelische Einheit von Ort, Zeit und Handlung. Da gibt es, wenn man so will, auch einen kommentierenden, nun nicht unbedingt moralisierenden antikischen Chor, das synchrone Sprechen zu zweit oder zu dritt.
Den Ort des Geschehens um fünf Figuren, nach einer „wahren Begebenheit“, hat Valentin Baumeister in einer vielleicht sinnfreien, aber wunderschön klaren Weiß-Ästhetik gestaltet, in die eine dezente Lichtregie nur selten etwas Farbe bringt. Es ist eine Art geometrischer, aus lauter Quadraten zusammengesetzter Guckkasten mit einer Art Bergfried im zentralen Hintergrund, wodurch sich das Spielfeld in drei Bereiche teilt: Rampe, rechts und links. Nicola Gördes hat sich bei den Kostümen ganz an die Leitfarben Blau, Grau und Sturmhauben-Schwarz gehalten. Im Hintergrund lässt Konstantin Dupelius unaufdringliche Minimal Music säuseln. Etwas Bühnennebel wabert ab und an.
Die Story um die taffe und etwas brutale, aber zwischendurch auch verletzliche Holle (Eva Lucia Grieser), ihren Freund, den Journalisten Enno (Cyril Hilfiker) und dessen schwulen Partner Ove (Morris Weckherlin) ist schnell skizziert. Der ein wenig schusselige Buddy Ove, der das Stück mit seiner Rolle als reflektierender Erzähler beginnt („Hast du schon mal in den Spiegel geschaut?“), hat als ehemaliger Bufdi per Schlüssel Zugang zur Apotheke, aus deren Tresor „BTM“, also Betäubungsmittel, gestohlen werden sollen, die Holle dann verticken will. Doch der nächtliche Plan geht komplett schief. In der Apotheke halten sich überraschenderweise die Besitzerin und eine Angestellte (Lauretta van de Merwe und Seraina Löschau) auf. Holle, das Mastermind, Typ Gudrun Enßlin, hat eine Schusswaffe dabei. Die Damen werden als Geiseln genommen.
Eine Menge Leitmotive durchziehen die Inszenierung. Da ist die Himbeere. Buddy Ove läuft bei Holle als „Himbeer-Popöchen“. Bei den gekidnappten Damen geht es immer wieder um die Orchideen und die Katze. Sie sprechen zwar gepflegter und gebildeter („Übersprungshandlung“) als das vulgäre, manchmal etwas arg forciert artikulierende Möchtegern-Gangster-Trio seinen Street Slang. Gemeinsam ist aber allen, dass sie beharrlich Wörter weglassen, am liebsten die Verben, auch und gerade wenn sie sich im Duett oder Trio zum synchronen Chor zusammentun. Virtuos einstudiert übrigens. Es mag einem etwas penetrant vorkommen. Eindrucksvoll aber, wie in den knappen fünf Viertelstunden alle Fünfe figürliche Kontur finden.
„Wir werden großartige Dinge zusammen machen, so wahr mir das Quietsche-Entchen helfe!“, sagt Holle eingangs. Der Stand Ende Episode 1 ist allerdings: Sie wollen irgendwie raus aus der übel schiefgelaufenen Nummer. Journalist Enno, eher Typ Weichei, schlägt vor, das Ganze zur inszenierten Story umzuetikettieren. Mal sehen, was die Fortschreibung unter anderem Autor und anderer Regie am 18. November bringt.
Nachtrag: Es könnte als Omen, ein Menetekel gesehen werden, spielt aber im Laufe der kurzweiligen 75 Krimi-Minuten im Zuschauerbewusstsein keine wirkliche Rolle: „Im Taumel des Zorns“ handelt von einem Überfall mit Geiselnahme und hatte seine Premiere exakt an jenem 7. Oktober, an dem sich sowas in einem bis dahin unvorstellbar barbarischen Ausmaß in Israel mit Fortsetzung Gaza ereignete. Mit offenem Ende. Aber keinem guten.
