Kunst

Gude Schaal – Malerin in Moll

Am Freitagabend eröffnet im Spendhaus die Aussstellung „Gude Schaal. Mein Weg in die Malerei“ über eine bemerkenswerte Frau und Reutlinger Bürger-Künstlerin

REUTLINGEN. Ihr künstlerisches Schaffen erstreckte sich über fast acht Jahrzehnte. Ihrer Heimatstadt Reutlingen, wohin die in Altona gebürtige Schwabentochter geheiratet hatte, einen schwermütigen, älteren Textilfabrikanten, konnte Gude Schaal (1915 bis 2011) „nicht böse sein“. Aber es zog sie immer wieder weg, an Traumorte wie das alpine Schloss Elmau, nach München, nach Leipzig, wo sie ausgebildet worden war, ins Allgäu, wo sie die Kriegsjahre verbracht hatte, oder vor allem in den geliebten Norden, ans Meer und eben an die Elbe nach Altona.

Museumschef Stephan Rößler führt durch die Gude-Schaal-Ausstellung im Reutlinger Spendhaus.
Foto: Martin Bernklau

Ihr Geschmack war rigide reaktionär. Picasso nannte sie einen „Kleckser“. Mit Cézanne konnte sie „nichts anfangen“, wenngleich ihre Achalm-Silhouetten manchmal ein wenig dessen Montagne Sainte-Victoire anempfunden scheinen. Flächige Landschaften, expressiv leuchtend, lassen schon gewisse Beschäftigung mit ihm vermuten, dem Wegweiser der Moderne – übrigens besonders auch mit der Farbe Emil Noldes. Mit dem lokalen Holzschneider und Kunstpatriarchen vom Hausberg Achalm scheint sie ein eigenartiges gegenseitiges Ignorieren verbunden zu haben, wenngleich die gelernte Illustratorin dessen Katzen einmal in einem Linolschnitt aufgreift, der Discount-Variante von HAP Grieshabers unangefochtener Domäne.

Aber Gude (Gudrun) Schaal, die ihrer Signatur „GDA“ zeitlebens das „A“ für Altona anfügte, beschäftigte sich auch mit Vorbildern wie Ingres, dem Solitär Amedeo Modigliani, oder malte Paraphrasen zu Goya. Van Gogh hat sie offenkundig tief beeindruckt. Auch mit der Pittura metafisica eines Giorgio de Chirico scheint sie sich auseinandergesetzt zu haben. Ganz sicher hat sie viele der verfemten Maler bewundert, vor allem die Expressionisten, nachdem sie in München die ganz anders – als Verhöhnung und „Canceln“ nämlich – gedachte Naziausstellung „Entarteter Kunst“ gesehen hatte. Als Jungmädel hatte sich die bürgerlich-konservativ Erzogene vom Nationalsozialismus betören lassen. Die Studentin soll dem Führer sogar einmal einen eigenen Scherenschnitt haben schenken dürfen. Dass hinter ihrem späteren Förderer Alfred Hagenlocher von der Reutlinger Hans-Thoma-Gesellschaft ein straflos gebliebener Gestapo-Mann und SS-Massenmörder steckte, das hat sie seinerzeit sicherlich noch nicht wissen können.

Der neue Leiter des Reutlinger Kunstmuseums Stephan Rößler führte die Presse vorab durch die Ausstellung, die noch von Vorgängerin Ina Dinter über alle drei Stockwerke des Spendhauses geplant und von Rainer Lawicki und Anna Katharina Thaler fertig kuratiert worden war. Neben eigenen Beständen und privaten Leihgaben stellt die Galerie Reinhold Maas, die den künstlerischen Nachlass Gude Schaals pflegt, einen großen Teil der 120 Exponate: Grafiken, Linolschnitte, Gouachen und Ölmalerei, vorwiegend auf Holz.

Drei Porträts aus dem frühen und späteren (Öl-)Schaffen Gude Schaals: „Armin Rauscher“ (1962), fast neusachlich; Selbstporträt „Im Winter“ (2006) mit expressionistischen Konturlinien und der christushafte „Werner Wellsandt“ aus dem Sterbejahr 2011. Repro: Martin Bernklau

So sichtbar und unverstellt die Einflüsse sind, so unverkennbar eigen ist doch der Stil von Gude Schaal, den Stephan Rößler einem „magischen Realismus“ zuordnete, und den sie über die Genres und die Veränderungen von Jahrzehnten des Schaffens, doch beibehalten konnte. Sie malte die Reutlinger Gesellschaft und gab sie als als stilisierte Charakterköpfe wieder. Hier hatte sie einen bis heute stabilen Kreis an Freunden, Bewunderern, Verehrern, ja Fans. Ganz oft aber nutzte sie ihr eigenes Antlitz als Vorlage für Bildnisse ihrer fast immer neutral betitelten Bilder („Frauenkopf“). Ähnlich die Landschaften, die dann „Aufziehendes Gewitter“ heißen, nicht etwa „Achalm vor dem Sturm“.

Die Achalm, ein häufiges Motiv, ein wenig Cézannes Montagne Sainte-Victoire anverwandelt. Foto: Martin Bernklau

Weil sie der stockkonservative Gatte nach der Hochzeit im Kriegsjahr 1942 nicht mehr malen ließ, die Ehe wohl schwierig und unglücklich war und der frühe Tod des dritten Kindes im Wochenbett sie tief traf, verfiel sie in schwere Depressionen, woraus sie sich um die Mitte der Fünfziger offenbar nur durchs Malen, durch die Farbe (mit Experimenten in unterschiedlichen Techniken) allmählich befreien konnte, als „Heilprozess“, wie der Museumschef das nannte. Sie blieb kränklich, oft erholungsbedürftig, wurde am Ende aber doch 96 Jahre alt. Bis zum Tod ihres Mannes im Jahr 1995 hatte auch die unglückliche Ehe gehalten. So etwa von 1960 an malt Gude Schaal vorwiegend in Öl, auf Hartfaserplatten.

In der „Schwäbischen Heimat“ nannte der kluge Kunstkenner Fritz Dannenmann Gude Schaal eine „Malerin in Moll“. Da ist was dran. Andererseits aber zeugen die Farben gerade der Bilder aus ihrer Heilungszeit von einer geradezu vulkanischen Lebensenergie, von einem Mut und einer Kraft und einem Willen, einer unglücklichen, vielleicht sogar trostlosen Wirklichkeit an Ehe und dem quälenden Leiden an Depressionen die Stirn zu bieten – mit Pinsel und Spachtel als Waffen in der Hand.

Ein Selbstporträt der in glückloser Ehe Gefangenen. Foto Martin Bernklau

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