Kino

„Golda“ – In Zeiten des Krieges

Im Tübinger Museum, in Urach (forum 22) und dem Rottenburger Waldhorn-Kino läuft „Golda“ an, der Film über die israelische Ministerpräsidentin im Jom-Kippur-Krieg

TÜBINGEN. Ob Benjamin Netanjahu zurücktritt, wenn zu Ende gebracht ist, was er sich in Gaza vorgenommen hat: die bestialische Terrorbande Hamas, die auch das eigene Volk in Geiselhaft nimmt, nach dem schlimmsten Judenmassaker seit dem Holocaust zu vernichten, unschädlich zu machen? Golda Meir hat es vorgemacht. Sie übernahm die Verantwortung für den Jom-Kippur-Krieg im Oktober 1973, bei dem sich Israel von Ägypten und Syrien überrumpeln ließ und um ein Haar ausgelöscht worden wäre – exakt 50 Jahre vor dem Hamas-Massaker, das ähnlich unvorbereitet über Israel kam. So viele Parallelen.

Über die israelische Ministerpräsidentin, eine der weltweit ersten Frauen, die Chef einer Regierung wurden, läuft jetzt der Film „Golda“ an (manchmal mit dem prahlerischen Zusatz: „Israels Eiserne Lady“), der sich vor allem mit jenen Tagen im Herbst 1973 befasst – eine britische, aber unter maßgeblich israelisch geprägtem Stab vor jenem 7. Oktober 2023 entstandene Produktion mit Guy Nattiv als Regisseur und Nicholas Martin als Drehbuchautor.

„Golda“ ist kein Biopic, sondern das Psychogramm einer Staatschefin in ihren mutmaßlich schwersten Tagen und dunkelsten Stunden, fast ein Kammerspiel aus Kabinetts-Sälen, Kriegs-Lagezentren und der Dienstwohnung. Der Film wird für Debatten oder gar Kontroversen sorgen, den Gaza-Krieg im realen Hintergrund. Das ist erst einmal gut so. Kino soll und darf Diskussionen befeuern, selbst schwierige, sogar hitzige. Oder er wird furchtsam verschwiegen werden (die Wikipedia-Seite wurde schon gelöscht, einzelne Kinos verzichteten auf die Vorführung), zumal er jene Ereignisse ganz aus israelischer Sicht darstellt, was legitim, aber zwangsläufig eben einseitig ist. Das wäre schlecht.

Doch ist „Golda“ auch ein guter Film?

Golda Meir. Foto: The Times of Israel.

Im Vorfeld wurde unter dem Modebegriff „kulturelle Aneignung“ – dürfen fortan nur noch Deutsche Nazis darstellen, nur noch Italiener Mafiosi? – die dümmliche Frage gestellt, ob eine Nichtjüdin wie Helen Mirren eine jüdische Ministerpräsidentin spielen darf. Worauf zu antworten wäre: Wenn sie gut spielt, selbstverständlich! Und das tut Helen Mirren mit atemberaubender Intensität, unterstützt von ausgezeichneter Maske und der oft subtilen Kameraführung von Jasper Wolf – solche Nahaufnahmen kann nur das Medium Film liefern.

Keine der Rollen reicht auch nur annähernd an die schauspielerische Leistung dieser Helen Mirren heran, manche sind sogar schlecht, richtig schlecht. Liev Schreiber fehlt für seinen Henry Kissinger jegliches intellektuelle (auch macht-erotische) Charisma, und Rami Heubergere scheitert völlig bei seinem Versuch, die Widersprüche des Kriegshelden und Versagers Moshe Dajan, des Mannes mit der Augenklappe, ineins zu bekommen. Ariel Scharon, mit seinem kühnen Kommandounternehmen damals vielleicht militärischer Retter in zunächst aussichtsloser Lage Israels, späterer Nachfolger als Ministerpräsident und noch größere Hassfigur, war kein so unbeholfen jungenhaftes Dickerchen, wie Ohad Knoller ihn vorführt.

Die Frauenrollen hingegen sind stark, sehr stark besetzt, vor allem mit Camille Cottin als Assistentin und Jame Ray Newman als Sekretärin Golda Meirs. Diese Frauen, die Premierministerin selbst allen voran, zeigen in Leid und Mitleid das Menschliche in Zeiten des Krieges: Golda Meir, zwar keine Soldatin, aber durchaus Strategin, zählt jeden einzelnen Toten, tröstet die Mutter des gefallenen Soldaten und denkt sogar an all die Mütter, Frauen und Kinder jener Zehntausenden von eingekesselten ägyptischen Soldaten, deren Vernichtung sie befehlen könnte (womit sie gegenüber US-Vermittler Kissinger auch droht).

Eine generelle cineastische Fragwürdigkeit ist die fast bruchlose Übergang, in dem dokumentarische Schwarzweiß-Aufnahmen und auf alt getrimmte Szenen aneinandergeschnitten werden. Auch AI (KI) macht’s möglich. Manche Versuche, Golda Meirs düstere Visionen und Alpträume zu visualisieren, wirken etwas unbeholfen, teils kitschig. Dafür verzichtet der Film weitgehend auf spektakuläre Schlachten- und Kampfszenen. All diese Grausamkeiten und Gräuel bekommen die Zuschauer nur indirekt mit, in Funksprüchen, auf den Bildschirmen und als Berichte für die Kommandostäbe.

Golda Meir trat damals zurück, als der Krieg nach spektakulärer Wende gerade noch halbwegs siegreich beendet, jedenfalls Israel nicht vernichtet war, und schützte ihre Untergebenen, sogar jenen Verteidigungsminister Moshe Dajan, der die vom Mossad gemeldete Kriegsgefahr notorisch heruntergespielt, alle Warnungen in den Wind geschlagen hatte (sogar die von Jordaniens König Hussein), nach dem Überraschungsangriff am Suezkanal und auf dem Golan dann aber einerseits zu einem Häufchen Elend zusammenbrach, andererseits sogar Israels Atomwaffen einsetzen wollte.

Von Golda Meir, der im ukrainischen Kiew geborenen und von wüsten Pogromen vertriebenen Jüdin, der Sozialistin und Zionistin, Kriegs-Premierministerin, Diplomatin und (mit ihrem ägyptischen vormaligen Feind Anwar al Sadat) friedenswilligen Versöhnerin, stammen viele kluge, auch viele umstrittene Sätze. Einer davon lautet: „Wir können den Arabern verzeihen, dass sie unsere Kinder töten. Aber wir können ihnen nicht verzeihen, dass sie uns zwingen, ihre Kinder zu töten.“

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