„Ins Blaue“, das theatralische Sommerspektakel der Tonne im Reutlinger Freibad Markwasen, hatte am Samstag endlich seine Premiere
REUTLINGEN. Immerhin, es ging. Aber allenfalls halb gnädig gab sich der Himmel bei der schon um gut zwei Wochen aufgeschobenen Premiere, die das Tonne-Theater am Samstagabend mit seinem Sommer-Event „Ins Blaue“ endlich im Reutlinger Freibad Markwasen steigen lassen konnte. Zum Ende hin nieselte es zwar auch wieder ein wenig in die unbehagliche Abendkühle. Aber dafür bekam das Publikum von dem wechselhaft blau und grau verhangenen Himmel ein betörendes Licht geboten über der musikalischen Revue, die dem alltäglichen Ort banalen Badevergnügens starke szenische Bilder einprägte.
Es ist wahrhaftig jammerschade um die drei ersten, auch krankheitshalber ausgefallenen Termine, denn Enrico Urbaneks Inszenierung (Dramaturgie: Alice Feucht) mit Yaron Shamirs Choreografie, Sibylle Schulzes Ausstattung, dem tollen Soundtrack von Michael Schneider und einem großartig engagierten Team schafft genau das, was solche sommerlichen Freiluftereignisse seit den stilprägenden Events des Melchinger Lindenhofs auch sollen: Solchen alltäglichen Orten den Stempel starke Bilder aufprägen, die unauslöschlich haften bleiben im Gedächtnis und der Bildwelt der Besucher.
Die sorgsam erdachten und in wunderbare Tableaus gefassten Szenen boten vergleichsweise wenig Handlung, keine Story, dafür aber in Form von Songtexten reichlich Musik und spektakuläre Schauplätze, nicht nur den Zehn-Meter-Turm, von dem aus die schwindelfreie Sopranistin Ulrike Härter im herabwallenden Nixen-Kostüm Dvořáks „Rusalka“-Arie mit starker Stimme hochdramatisch und hochromantisch in den düster verglimmenden Himmel einer immer tiefer werdenden Nacht sang.
Einen ganze anderen Stil führte Chrysi Taoussanis mit rauher, kehliger, kraftvoller Stimme direkt beim Publikum ans Geländer der Tribüne gelehnt mit der Brecht/Weill-Ballade vom Wasserrad aus dem „Arturo Ui“ (?) vor, wo es heißt „Nicht andre Herren, sondern keine!“; und im Epilog: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“
Begonnen hatte alles gleich hinter dem Eingang. Da war auf der Liegewiese eine kleine Bühne aufgebaut, auf der sich Klezmer-Klänge vernehmen ließen und zu Akkordeon, Gitarre und Geige das jiddische Lied „Bei mir biste scheen“. Erstes starkes Bild: Aus dem Grün rollte langsam eine durchsichtige Plastikkugel heran, der eine sportive Schauspielerin mit blauem Haar entstieg (Justine Rockstroh) und mit Suzanne Vega „I’m falling against the Sky“ sang. Zu Celentanos „Azzurro“ wurde getanzt.
Bei den ersten Szenen am Wasser setzten sich die Wellen in Bewegung. Hinten sang ein Ensemble HipHop: „Die Tage am Meer“; später ein gerapptes Sailor-Shanty. Vorne gab eine Solistin die „Quais d’Amsterdam“ von Jacques Brel. Im Wasser unterm Schirmbrunnen boten zwei Nixen (Angelica Bistarelli und Simona Semeraro) zu sphärischen Instrumentalklängen eleganten Ausdrucktanz, gingen gelassen an Land und machten mitten im Publikum weiter.
Als die Zuschauer ihre Plätze auf der Tribüne eingenommen hatten verdichtete sich der bis dahin dramatisch grau-braun bewölkte Himmel und sprühte mit der einbrechenden Dunkelheit einen fies-feinen, mit guter Kleidung oder Schirm gerade noch erträglichen Nieselregen. Die Becken wurden zur Arena, zwischen denen eine Combo „Like a Boy“ intonierte, während das junge Sextett auf der blauen Insel – lesbar als Reminiszenz und Reverenz an den Tübinger „Hölderlin“, der auf brennendem Sofa den Neckar hinab schwamm – sich im langen Becken seinem tiefenpsychologisch aufgeladenen Traum vom Seeungeheuer und dem Angeln hingab.
Es wurde Licht irgendwann, Choräle erklangen oder die Latin Music der inklusiven Truppe in weiten weißen, von innen leuchtenden Röcken und unter roten Schirmen. Viel Tanz dabei, und genau einstudierte Choreografie; nicht nur Songs, auch Geräusche wie sanftes Geplätscher, heulender Sturm oder Meersbrandung gaben den klanglichen Hintergrund. Auf dem blauen Floß schälte sich David Liske zu „Let me free“ aus dem weißen Kokon. Lauter wunderbare, wundersame Bilder zu vielfältigen Klängen und Worten, die freilich oft in fremder Sprache und auch nicht immer so leicht verständlich herüberkamen.
Ein großartiges Event, trotz kühler Nässe mit langem Beifall bedacht.