Im Tübinger Museum läuft der französische Film „Die guten und die besseren Tage“ an – ein kleines Juwel des sanft-sensiblen und doch federleichten Kinos
TÜBINGEN. Aus Frankreich kommt immer noch Erstaunliches in die Kinos. „Des jours meilleurs“ heißt der Film von Elsa Bennett und Hippolyte Dard, dem man einen deutschen Bandwurmtitel verpasst hat. Trostloser könnte das Thema, öder könnte der Ort kaum sein: eine Entzugsklinik für Frauen – Grautöne, Erdfarben, schäbiges Ambiente. Aber das bleibt nicht so.
Es sind keine abschreckenden Schockbilder. Doch das ganze Elend einer Trinkerin zeigt der Prolog trotzdem. Suzanne (Valérie Bonneton), die junge Witwe und trotz alledem fürsorgliche Mutter dreier Söhne, füllt sich ihren Wodka tagtäglich in unauffällige Flaschen. Sie hat ihr Leben fast im Griff. Doch dann passiert es im morgendlichen Stress: Sie vergisst die Handbremse. Der Wagen mit den Jungs rauscht rückwärts gegen ein anderes Auto.

Alles halb so schlimm eigentlich. Aber Suzanne verliert das Sorgerecht für ihre Söhne. Ein erfolgreicher Entzug ist das Mindeste, um ihre Kinder zurück zu bekommen. Schnitt, Vorspann, Szenenwechsel. Es ist eine Gruppe von zehn, zwölf Frauen, die der Therapeut Denis (Clovis Cornillac), selber ein trockener Trinker, anvertraut bekommt. Sie stellen sich und ihre mehr oder minder erschütternden Geschichten vor, ganz lakonisch. Natürlich leugnen alle ihre Sucht. Aber natürlich ist diese Gruppe unterschiedlichster Herkunft und jeglichen Alters doch eigentlich ein Häufchen Elend.

Suzanne (von links).
Der Entzug ist hart, leidvoll und tränenreich. Für jede. Der Therapiealltag wirkt ganz authentisch und realistisch dargestellt. Für die steile Story gilt das nicht ganz. Doch das darf sein in einer solchen „Comédie dramatique“. Denn der Plan von Denis ist surrealistisch verrückt. Aber schließlich braucht es Ziele. Er will seiner Truppe das Einmaleins der Automechanik, der Navigation und der nötigen Survival-Techniken beibringen und mit dem Team dann nach ein paar Monaten in der marokkanischen Wüste an der Rallye des Dunes teilnehmen, die Frauen vorbehalten ist.
Drei der Frauen sind schließlich als Fahrerinnen und Lotsinnen auserkoren, auf die sich die Regie und die Kamera immer mehr focussieren. Neben Suzanne sind das die junge und bald auch wieder schöne Barfrau Alice (Sabrina Ouazani) sowie die abgehalfterte, aber einst glamouröse Schauspielerin Diane (Michèle Laroque). Was der einen ihr Wodka, der zweiten die Cocktails, ist der dritten der Champagner gewesen. Aber auch die kleineren Rollen gewinnen alle ihr besonderes Profil.
Die filmischen Mittel von Regie und Kamera sind sorgsam, sparsam und präzise dem leicht schematischen, doch nie plumpen Plot angepasst. Im ersten, diesem eher traurigen und sehr mit seinen Schicksalen mitfühlenden, wenngleich nie hoffnungslosen Teil, herrscht Grau vor, Nebel, Nässe, Kälte in meist düsteres Licht gehüllt. Eine auch mal unstet taumelnde Handkamera fängt die leidenden, verzweifelten Gesichter ein. Die Wechsel von Nahaufnahmen und Gruppentotalen sind unaufgeregt geschnitten. Ganz stringent setzt Clémence Ducreux seine Musik ein: Wenn gesprochen wird, schweigt sie. Sobald es Action gibt, hebt sie passend und mit dezenter Gefälligkeit an.
Im letzten Drittel kommt das Licht, geht die Sonne auf, gibt es strahlende Farben und großartige Landschaften in geradezu rauschhaften Bildern: Die Wüste Sahara bei der Frauen-Rallye in Marokko. Hoher Himmel, Sand ohne Ende, sattes Licht.
Ganz ohne Krisen, Konflikte und Katastrophen gehen aber auch diese „besseren Tage“ nicht ab. Diane erleidet einen schlimmen Rückfall. Am Ende muss Suzanne nach einem Überschlag ihre schwerverletzte Beifahrerin Alice aus dem Range Rover retten, bevor das brennende Wrack explodiert. Typisch für diesen subtilen Film, einen Frauenfilm, sind diese Leerstellen: Den Knall inszeniert Elsa Bennett nicht. Den darf sich die Fantasie der Zuschauer ausmalen.
