Kino

„Das Licht“ – A Hard Rain

In der Tübinger „Blauen Brücke“ läuft Tom Tykwers Familien- und Flüchtlingsdrama „Das Licht

TÜBINGEN. Der Film könnte auch „Der Regen“ heißen oder „Das Wasser“. Was man sich so gemeinhin als Licht vorstellt, kommt nur ganz am Anfang, fast ironisch, als kurze Sequenz vor: strahlende Sonne durch ein frühlingsgrünes Blätterdach. Ansonsten regnet es unablässig, selbst wenn im Hintergrund die Sonne scheint. Tom Tykwers Licht ist etwas Künstliches, ein Apparat, der kranke Seelen durch Strobo-Blitze zu heilen vermag, indem er im Hirn das besänftigende Halluzinogen DTM freisetzt. Er erinnert ein wenig an Wilhelm Reichs, des Freud-Schülers Orgonakkumulator für gute Orgasmen und Lebensenergie.

Tom Tykwer hat 1998 mit „Lola rennt“, mit Moritz Bleibtreu und Franka Potente, Filmgeschichte geschrieben. Seine Idee, eine Geschichte in drei Varianten zu zeigen, war ein Geniestreich von philosophischer Tiefe: Wie das Schicksal so spielt. Oder der Zufall. Zwischendurch zierte und bereicherte er die Regisseurs-Riege von „Babylon Berlin“.

Auch für „Das Licht“ stehen wieder zwei Stars an der Spitze seines Casts: Lars Eidinger und Nicolette Krebitz, die als Zwillingseltern Tom und Milena – das schwarze Kuckuckskind Dio (Elyas Eldrigde) spielt eine Sonderrolle – in einer ziemlich wohlstands-verwahrlosten Altbauwohnung im hippen Berliner Prenzelberg ihr rastloses alternatives Familienleben fristen. Der eigentliche Star aber ist Tala Al-Deen als syrische Haushälterin Farrah.

Schon der Einstieg, das ultralange Einzoomen quer durch die abendliche Berliner Skyline auf eine Plattenbau-Wohnung, in der dieses Licht blitzt, ist ein Stilmittel aus der cineastischen Wundertüte, über die der Kino-Nerd Tykwer verfügt und virtuos gebietet. Er handhabt Perspektiven und Proportionen souverän und zaubert auch ein regelrechtes Arsenal an visuellen Effekten und Animationen bis hin zum astreinen Zeichentrick aus seinem Füllhorn. Dafür wird es Preise geben. Und doch, oder vielleicht gar deswegen, wirkt sein Zweieinhalb-Stunden-Opus auf eigentümliche Weise schematisch und wie aus dem Baukasten oder am Reißbrett konstruiert – auch in seiner Message, seiner hohen Moral.

Stets im Regen, immer zu spät: Lars Eidinger als Tom in Tom Tykwers „Licht“. Foto: XVerleih

Diese dysfunktionale Familie Engels verliert auch noch plötzlich und unerwartet ihre Haushälterin aus osteuropäischem Migrations-Milieu, die eigentlich keiner kannte, auch die Kinder Frieda und Jon (Elke Biesendorfer und Julius Gause) nicht. Die Mutter jettet als Entwicklungshelferin ständig nach Nairobi, woher sie mit Godfrey (Toby Onwumere) auch ihr Nachzügler-Kind hat. In der „B-Woche“ lebt es bei Familie Engels. Die fette Kohle schafft Tom ran, äußerlich ein abgerissener Spätfreak, vernachlässigt auch innerlich von seiner Frau, aber trotzdem der erfolgreiche Kreative einer woken Kampagnen-Agentur. Zu den Therapie-Terminen kommt er, stets mit dem Rad durch den Regen unterwegs, notorisch zu spät.

Die siebzehnjährige Frieda ist mit ihrer schwer drogen-affinen Clique unermüdlich in der Berliner Club-Szene unterwegs und muss irgendwann ein Kind abtreiben lassen, was die Mutter gar nicht mitbekommt. Dafür ist Tom dabei. Ihr Zwillingsbruder Jon verbarrikadiert sich meist in seinem messiehaft vermüllten und abgedunkelten Zimmer, wo er es mit einem Videospiel an die Weltspitze bringt. Hin und wieder geht er zum Skaten an die Luft, hat aber die altersgemäße Panik vor der realen Begegnung mit seiner Flamme aus dem Chat.

Jeder seiner Hauptfiguren gönnt Regisseur Tykwer eine Traumsequenz, in der er sich filmisch regelrecht austobt. Der Grundschüler Dio entschwebt zum Trällern der „Bohemian Rhapsody“ in richtigen Zeichentrick. Mit Farrah hat es eine besondere Bewandtnis: Als psychologisch und literarisch hochgebildeter Flüchtling aus dem syrischen Bürgerkrieg mit perfekten Deutschkenntnissen entschwebt sie immer wieder in einen hohen Kerkerraum mit unerreichbarem Oberlicht, wo sie mit ihren gleichfalls plusminus siebzehnjährigen Kindern, gleichfalls Sohn und Tochter, den inhaftierten Familienvater besuchen darf, der längst alle Hoffnung hat fahren lassen. Doch Farrah bleibt fest und treu und stark.

Farrah (Tala Al-Deen) vor ihrem Licht…

Als Haushälterin, fast zur Heiligen überhöht, gelingt es Farrah nicht nur, allen Familienmitgliedern Trost und Halt zu geben, sie kann alle Viere auch zu einer finalen Therapie mit diesem ins Unterbewusstsein flackernden Kunstlicht überreden. Dieser Showdown wird gegengeschnitten – Stilmittel: lange Pausen von rabenschwarzer stummer Leinwand – mit Szenen des Ertrinkens bei der Flucht der syrischen Familie über das Mittelmeer. Als apokalyptische Vision mit visuellen Unterwassereffekten erlebt das die Berliner Familie jetzt auch, erleidet es nach. Was wirklich geschieht, im richtigen Leben, lässt der Regisseur, der seinen Film mit autobiografischen Anspielungen in Fülle gespickt hat, offen – oder im Unklaren.

... und auf der Flucht vor dem syrischen Bürgerkrieg. Fotos: XVerleih

Immer wieder lässt Tom Tykwer das Symbol einer Uhr tropfen, die statt Sand mit Wasser läuft. Leitmotiv ist auch der Regen, der im Finale zu Schwall und Flut anwächst. Der vielfach talentierte Regisseur hat gemeinsam mit Johnny Klimek auch die Filmmusik geschrieben. Statt der „Bohemian Rhapsody“ hätte aber auch Bob Dylans apokalyptisch-prophetischer Klassiker „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ bestens gepasst. Dystopie heißt das Modewort dafür. (FSK ab 12)

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