Der Stuttgarter Knabenchor „collegium iuvenum“ singt in St. Peter und Paul auf dem Reutlinger Storlach
REUTLINGEN. Nachdem der Auftritt des Reutlinger Kammerchors im Oktober ausfallen musste, endete die diesjährige Konzertreihe „Taste und Ton“ an St. Peter und Paul Reutlingen nun mit einem Konzert des Knabenchors collegium iuvenum Stuttgart unter der Leitung von Sebastian Kurz.
Advent heißt Hochbetrieb bei den Knabenchören. Hier ein Adventskonzert, dort ein Gottesdienst, am Ende das Bach’sche Weihnachtsoratorium. Und all dies mitsamt Proben neben dem Schulunterricht! Dieses Pensum hat auch der Knabenchor collegium iuvenum Stuttgart, kurz „CIS“, zu bewältigen. Im Gegensatz zum älteren Stuttgarter Pendant, den Hymnus-Chorknaben, wurde er erst 1989 gegründet und versteht sich als religiös orientiert, doch konfessionell neutral. Die Corona-Zeit hat er offenbar gut überwunden; Sebastian Kurz leitet die insgesamt etwa 200 jungen Sänger seit Mai 2022, in St. Peter und Paul traten nun etwa 40 „Cisianer“ auf die Stufen vor dem Altar.
Für dieses Adventskonzert hat Chorleiter Kunz eine auf den ersten Blick recht bunte Werkfolge zusammengestellt: Da steht Duruflé zwischen Schütz und Vivaldi, Lauridsen zwischen Eccard und Poulenc, Barock neben Moderne. Die eher selten gehörten Titel und Texte in vier Sprachen verkörpern im weitesten Sinne ein vielstimmiges Gebet, im zweiten Teil in Form von Mariengesängen. Als einziges bekannteres Lied taucht „Nun komm, der Heiden Heiland“ – teils verwandelt – in zwei Bach’schen Choralbearbeitungen für Orgel auf, die KMD Karl Echle (aus Freudenstadt) ruhig und klar von der großen Orgel aus zwischen die vokalen Blöcke einfügt. Ansonsten assistiert er dem Chor als sicherer Begleiter an Truhenorgel und Klavier.
Im Lauf der Aufführung entfaltet sich eine Dramaturgie der Hoffnung im Wechsel der Besetzungen. Kraftvoll und homogen erklingt der Ruf „Machet die Tore weit!“ von Andreas Hammerschmidt als Auftakt; kernige junge Männerstimmen tragen die reinen, hellen Stimmen der Soprane und Altisten im Grundschulalter. Es folgt eine sechsstimmige Motette von Heinrich Schütz: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“, die dem Chor viel abverlangt; Sebastian Kunz leitet seine hochkonzentrierten Choristen mit ruhigen, runden Bewegungen. Ihr schließen sich zwei Chorsätze von Maurice Duruflé an, ein aparter Kontrast durch die weich bewegte, farbige Harmonik, sensibel ausgekostet und hörbar mit Seele erfüllt.
Zurück in die Barockzeit geht es mit zwei Sätzen von Vivaldi aus Gloria und Magnificat, wobei zwei der jungen Sopranisten nach vorn treten und als glockenhelles Duett den Solopart übernehmen; ein „Exsultate iusti in Domino“ beschließt den Abschnitt vor der ersten Orgeleinlage.
Einem schlichten Satz von Eccard („Übers Gebirg Maria geht“) folgen danach mehrere vokale „Hingucker“: Zunächst eine moderne Gedichtvertonung von Morten Lauridsen aus dessen „Nocturnes“ („Sure on this shining night“), deren farbige Harmonik und sanftes Clair-obscur in dem sensibel durchgestalteten, intonationsreinen Chorgesang bestens zur Geltung kommt; danach zwei Männerchorstücke.
Hier zeigt sich erneut, dass die besten Männerchöre aus Knabenchören erwachsen: In solch exquisiter, zugleich homogener und fein abgestufter Qualität hört man sie selten. In diesem Fall mit einem anspruchsvollen „kleinen Gebet“ von Poulenc und einem traditionellen „Ave Maria“ von Karl Biebl, bei dem ein chor-eigenes Solistenterzett im Wechsel mit den andern das Mysterium andeutet. Daneben wirkt das folgende „Alma redemptoris mater“ von Palestrina fast flach in seinem Ebenmaß; bei der Intonation von Regers schwierigem Chorsatz „Unser lieben Frauen Traum“ machen sich kurzzeitig minimale Schwächen bemerkbar.
Die letzten zwei Nummern singt der Knabenchor collegium iuvenum von der Orgelempore aus, die vorzügliche Raumakustik trägt den vielstimmigen, makellosen Gesang hier genauso gut wie vorn am Altar. Nur vom Text hätte man gern mehr verstanden (das Programmblatt verzichtete auf die Textwiedergabe): Mit Charles V. Stanfords „Arise, shine“ für Chor und Orgel lassen Kunz und die Seinen ihren Stimmklang in großer Fülle aufleuchten, überstrahlt von den Knabensopranen, und in zartem Piano verlöschen.
Als Krönung erklingt ein Auszug aus Mendelssohns unvollendetem Oratorium „Christus“: „Es wird ein Stern aus Jakob ausgehen“, lebhaft, hoffnungsfroh und zuletzt schlicht anrührend mit dem Choral „Wie schön leuchtet der Morgenstern“. Auf den begeistert im Stehen gespendeten, lang anhaltenden Applaus antwortet der Chor mit Telemanns Motette „Das ist meine Freude“ als Zugabe.