In der Tübinger Jakobuskirche widmete sich Matthias Klosinskis Ensemble Horizons dem Weihnachtshymnus „O Magnum Mysterium“ – dazu gab es Literarisches mit Sabine Weithöner
TÜBINGEN. Es war nicht das übliche Weihnachtskonzert: Matthias Klosinskis exquisites A-cappella-Ensemble Horizons sang in der Tübinger Jakobuskirche alte, romantische und neuere Chorvertonungen weihnachtlicher Texte, vor allem des Hymnus „O Magnum Mysterium“ (Das Große Geheimnis) um die Menschwerdung Christi. LTT-Schauspielerin Sabine Weithöner sprach Gedichte und eine weihnachtliche Erzählung von Marie-Luise Kaschnitz. Trotz starker Konkurrenz war die Kirche am Sonntagabend bis auf den letzten Platz besetzt.
Es gibt Texte aus der Tradition des abendländischen Mönchtums, die über den ursprünglichen gregorianischen Choral hinaus auch auf Musiker immer eine besondere Ausstrahlung hatten. Der Marien-Hymnus des „Magnificat“ gehört dazu, das österliche „Exsultet“ oder das weihnachtliche Responsorium „O Magnum Mysterium“. Ihm und einigen weiteren weihnachtlichen Liedvertonungen widmete sich Matthias Klosinski (im Hauptberuf Kinderarzt, aber sängerisch von Kindesbeinen an sehr solide, ja exzellent ausgebildet), der mit dem Ensemble Horizons und dem Männerchor Cantus X aus professionellen und halbprofessionellen Sängern Kammerchöre aufgebaut hat, die sich schnell einen herausragenden Ruf erworben haben.
Unbegleitete Chormusik, „a cappella“, wird keineswegs leichter durch den völligen Verzicht auf Vibrato, den reinen, unverzierten Klang, wie ihn Matthias Klosinski mit seinen Chören versucht. Das gilt für die heiklen Dissonanzen moderner Musik nicht weniger als für den fragilen Gesang der Romantik oder schon der alten Vokalpolyphonie wie der zu Recht berühmten „O Magnum Mysterium“-Vertonung des spanischen Renaissance-Meisters Cristóbal de Morales aus Sevilla. Die sanften Melismen sang das Ensemble Horizons aus dem Hintergrund des Chorraums heraus, was sie noch sphärischer, ätherischer, himmlischer klingen ließ in ihrem Aufblühen und ihren leisen und langsam in großen Bögen phrasierten Passagen bis zu dem langen Schlusston.
Mit diesem jenseitigen, fast überirdisch anmutenden alten Klang verglichen wirken das Adventlied „Es kommt ein Schiff geladen“ und das Weihnachtslied „Schlaf, mein Kindelein“ von Max Reger (1873 bis 1916) aus seinen „12 deutschen geistlichen Gesängen“ geradezu weltlich, diesseitig und trotz aller Zartheit kraftvoll frisch, auch im Charakterwechsel der Strophen. Dazwischen erklang in pointierter Deklamation „O Heiland, reiß die Himmel auf“ von Johannes Brahms (1833 bis 1897), fast eine Art fünfteiliges Variationsstück zwischen vielstimmigen Linien, schillernder spätromantischer Harmonik samt Rückungen und abschließenden Koloraturen.
Das „O Magnum Mysterium“ des kastilischen Komponisten Tomás Luis de Victoria (ca. 1548 bis 1611), wieder wie von ferne aus dem Rückraum gesungen, kündigt in seiner siubjektiv melodischen Ausdruckskraft schon den Epochenbruch (mit Monteverdis „Monodie“) zum Barock hin an. Wunderbar wieder dieses fragile Pianissimo, mit dem das Stück so fein und präzise verklang.
Die geschulte Stimme der Schauspielerin Sabine Weithöner gestaltete nicht nur Weihnachtsgedichte von Theodor Storm, Joseph von Eichendorff, Georg Trakl und Rainer Maria Rilke in fast musikalischer Kontur, sondern gab auch der traurig-tröstlichen Weihnachtserzählung „Das Wunder“ von Marie-Luise Kaschnitz (1901 bis 1974) ihre besondere Farbe. Der Erinnerung des ertaubten Erzählers Don Crescenzo an die Weihnacht mit der über das zerstörte Haus weinenden Mutter stellt die Dichterin den späteren Dank der armen Dorfbewohner für ihren selbstlosen Arzt, Crescenzos Vater, gegenüber.
Der dritte Teil des Abends galt Werken des 20. Jahrhunderts, denen neben der weihnachtlichen Thematik die vokale, chorische Klanglichkeit gemeinsam war. Uberraschend vielleicht, dass unter den „Quatre motets pour un temps de Noël“ von Francis Poulenc (1899 bis 1963), die mit dem „O Magnum Mysterium“ begannen, auch flächig klangvolle Stücke waren, doch auch sprachbetont pointierte, wie sie seine Tonsprache sonst so unverkennbar machen.
Der Wiener und Linzer Kirchenmusiker Anton Reinthaler (*1950) hat mit den litaneihaft gleich beginnenden Strophen von „In diesen dunklen Tagen“ ein sanft fließendes Stück geschrieben, das keine Berührungsängste mit der altvertrauten Tonalität hat und eine wunderbare Melodik und Atmosphäre zu zeugen vermag. David Conte, 1955 geboren, arbeitet bei seinem „O Magnum Mysterium“ eher mit bewegten Klangflächen, fügt aber auch ein Fugato und ein auf überlieferte Formen verweisendes Alleluja an.
Erhard Mauersberger (1903 bis 1983) kommt aus der protestantischen Leipziger Thomaner-Tradition und ist mit den drei Strophen seiner „Weihnacht“ eher choralhafter im Stil. Schön der schwebende Solosopran als Cantus firmus und die herrlichen Rücknahmen in ein ätherisch luftiges Pianissimo nicht nur beim Dur-Schluss. Den Amerikaner Morten Lauridsen, Jahrgang 1943, hat gerade sein „Magnum Mystrium“ wegen dieser besonders schwebenden mystischen Atmosphäre bekannt gemacht und später seiner Chormusik, die zu minimalistisch schlichterer Klanglichkeit bei suggestiver Ausdruckskraft neigt, zu weltweiter Wertschätzung verholfen. Chormusik par excellence, gerade für so ein Ensemble von höchster Stimmkultur.
Schön, dass erst nach diesem wundervollen Schlussstück ein Beifall losbrach, der nichts Besinnliches mehr hatte, sondern nur noch Begeisterung für dieses Konzert und seine Akteure ausdrücken wollte. Zum Dank gab es ein antiphonhaftes „Stille Nacht“-Arrangement, bei dem sich Frauen- und Männerstimmen an den Seiten des Kirchenschiffs gegenüberstanden.