Musik

Bachs Oratorium – Festliche Glanzlichter

Die Capella vocalis und die Württembergischen Philharmoniker unter Benedikt Engel gaben in der Reutlinger Stadthalle Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium

REUTLINGEN. Zum Ende der Festtage musizierte die Capella vocalis und eine apart kleine Besetzung der Württembergischen Philharmonie gemeinsam mit vielen Vokalsolisten am Donnerstagabend vor fast vollbesetzten Reihen in der Reutlinger Stadthalle die Kantaten 1 bis 3 und die abschließende Nummer 6 aus Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium. Benedikt Engel, der neue Leiter des Knabenchors, dirigierte die festliche Aufführung.

Vielleicht ist es ähnlich wie mit dem Kirchgang an Heiligabend: Auch viele Menschen, die sonst nicht so zum harten Kern der Konzertgänger zählen, gönnen sich in der Weihnachtszeit oder zum Weihnachtsfest selber Bachs Weihnachtsoratorium, das eigentlich ein sechsteiliger Kantatenzyklus ist, erstmals aufgeführt in den beiden Hauptkirchen des barocken Leipzig 1734/35 bei den Gottesdiensten zu den Festtagen zwischen dem ersten Feiertag, Neujahr und dem Erscheinungsfest Epiphanias, also Dreikönig.

Die Capella vocalis. Fotos: Martin Bernklau

Auch in diesem Jahr waren die vielen Aufführungen in der Region ausnahmslos gut besucht. Gesamtaufführungen wie die mit Martin Künstners Chören am 4. Advent in der Christuskirche (siehe die Kritik von Susanne Eckstein auf dieser Website) sind der Länge halber selten. Der Auftakt mit dem wirklich populären „Jauchzet, frohlocket!“, mit Pauken und Trompeten, auch die Hirtenmusik der Sinfonia, die den zweiten Teil eröffnet, fehlen fast nie. Doch selbst die von Benedikt Engel gewählte Zusammenstellung mit den ersten drei Kantaten und dem Schluss dauert noch gute zwei Stunden.

Beim Chor fiel auf, dass die Männerstimmen gegenüber den Knaben im schwarz-weiß-weinroten Capella-vocalis-Outfit ein deutliches Übergewicht hatte. Im ausgewogenen Klang war das kaum zu hören. Das Orchester war ungewöhnlich besetzt: Bei sechs ersten Violinen, jeweils vier in den zweiten und bei den Bratschen gab es nur ein Cello, einen Kontrabass und ein Fagott in der Bassgruppe. Drei Trompeten sind Pflicht. Auch die Holzbläser (mit zweierlei Oboen freilich, moderner Quer- statt Traversflöte) waren nur einfach besetzt.

Die Vokalsolisten Cathrin Lange, Jan Jerlitschka, Jo Holzwart und David Pichlmaier (von links). Fotos: Martin Bernklau

Zu den standardmäßigen vier Vokalsolisten Cathrin Lange, dem famosen Altus Jan Jerlitschka, einem inzwischen weithin gefragten Capella-vocalis-Eleven, dazu dem eleganten Erzähler-Tenor Jo Holzwart und einem hell timbrierten Bariton David Pichlmaier für die Bass-Partie kamen aus den Chorreihen noch die Solisten Julien Lang und Simon Engel als Knabensoprane. Zwischen dem Cembalo und dem kleinen Orgelpositiv wechselte der Metzinger Bezirkskantor Stephen Blaich, dem oft auch die besondere Rolle als Bindeglied zwischen Orchester und Chor zukam.

Denn dem mit sehr sparsamen, aber präzisen Bewegungen dirigierenden Benedikt Engel stand natürlich sein Chor näher. Dass er den WPR-Instrumentalisten fast freie Hand gab und Konzertmeister Timo de Leo gewisse Co-Führungsfunktionen zuteilte, führte manchmal zu bestimmten Fliehkräften, auseinanderstrebenden Nuancen in Agogik und Phrasierung. Vielleicht waren solche minimalen Differenzen aber auch dem Umstand geschuldet, dass die Konzentration – übrigens auch beim Publikum – nach anstrengenden Festtagen nicht mehr ganz so frisch, vielleicht sogar etwas erschöpft war.

Seinem eigenen Faible für historische Aufführungspraxis gab Benedikt Engel nur insofern nach, als er seine Chorsänger, Vokalsolisten und Instrumentalmusiker zu weitgehendem Verzicht auf Vibrato anhielt, andererseits aber durchaus zeittypisch barocke Verzierungen einfließen ließ. In der Gesamtdiktion war eine leichte, luftige, sprachbetonte, zu tänzerisch beschwingten bis flotten Tempi neigende Auffassung hörbar – mit wenigen Ausnahmen, wie manchen intensiv ausgekosteten und agogisch freien Soloarien, etwa Jan Jerlitschkas „Schlafe, mein Liebster“ oder das „Schließe, mein Herze“, die Timo de Leos Solovioline ebenso so fein und sensibel begleitete wie das Duett „Herr, dein Mitleid“ von Cathrin Lang (Sopran) und Bariton David Pichlmaier.

Vor allem Jan Jerlitschkas wunderbar geführte Altus-Stimme bot da absolute Glanzlichter. Aber auch Tenor Jo Holzwart faszinierte nicht nur als geschmeidig deklamierender Evangelist, sondern beispielsweise auch mit seiner kontrastreich akzentuierten Arie „Nun mögt ihr stolzen Feinde“ aus der Schlusskantate.

Begeisterter Schlussapplaus für Benedikt Engel und seine Capella vocalis, die Württembergischen Philharmoniker und die Vokalsolisten. Foto: Martin Bernklau

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