Die Schriftstellerin und (Kult-) Regisseurin Doris Dörrie war bei Bernadette „Schoog im Dialog“ im Sparkassen-Carré zu Gast
TÜBINGEN. Man muss sich nur einmal vorstellen, es gäbe die „Männer“ nicht: Keine einzige deutsche Komödie thronte in der Hall of Fame des internationalen Films, hätte einen Ehrenplatz in der Walhalla des Kinos. 38 Jahre ist das jetzt her, dass Doris Dörrie diesen Welterfolg feiern konnte. Aber sie ist viel mehr als nur Regisseurin. Ihr Auftritt im vollbesetzten Sparkassen-Carré am Donnerstagabend bei „Schoog im Dialog“ – 50. Ausgabe des Formats – durfte schon als Auftakt zum Tübinger Bücherfest gelten.
Das Schreiben gehört vielleicht noch vor dem Filmen, dem Inszenieren von Theater und Oper zu Doris Dörries kreativen Lebensinhalten. Das machte sie ihrer Gastgeberin Bernadette Schoog gleich zu Beginn des Gesprächs klar. Nicht immer hatte sie, eingespannt auch als Familienfrau und Mutter, ausreichend Zeit, diesen „anderen Wachheitszustand“ zu leben. Und gerade auf Reisen frönt sie dieser ganz besonderen Daseinsform in Gestalt von zufälligen Begegnungen, die sie festhält, oder gar als eine Art Schutzraum, der Störungen von ihr fernhält: „Sitzen, meditieren, zuhören“ tut sie dann.
So kann die 1955 in eine Hannoveraner Arztfamilie hineingeborene Regisseurin sogar den notorischen Verspätungen der Bahn noch Positives abgewinnen. Die Komödiantin blitzt auf, wenn sie vom Schaffner erzählt, der auf die Frage „Wann kommen wir an?“ geantwortet habe: „Ich glaube heute.“
Überraschenderweise fühlt sich Doris Dörrie, die ja auch als Regisseurin und Produzentin, als fürsorgender Familienmensch sowieso, gut durchorganisiert sein muss, jener Sorte Schriftsteller zugehörig, die beim Schreiben „keine Verstandeskontrolle“ haben, sondern „dem galoppierenden Pferd folgen“ wollen. Das müsse nicht so sein, sagt sie, wie bei Hemingway oder Scott Fitzgerald, die sich zielgerichtet „um den Verstand getrunken“ hätten. Es sei aber eine Art „Unterwassertätigkeit“, das Eintauchen in eine andere Welt, einen anderen Bewusstseinszustand.
Zeitenweise habe sie sich diese kleinen Fluchten in kleinsten Portionen freiräumen müssen, etwa „die zehn Minuten, während die Spaghetti kochen – es muss dann ja nicht unbedingt immer al dente sein.“ Schreiben als „Schutz, als Tarnkappe“, das habe sie schon in ihren frühen Jahren so empfunden, etwa während ihres Studiums in Kalifornien und New York, erzählt sie. Dort habe sie in einem heruntergekommenen Obdachlosen-Hotel für 30 Dollar die Woche hausen müssen, aber die Küchenschaben besser ertragen können, indem sie das Ungeziefer zu beschreiben versucht habe. Oder die Gewalt auf den Gängen und den Straßen.
Tochter Florentine Schoog teilt mit funkigen Songs zur akustischen Gitarre das Gespräch in Blöcke. Sie selber, erzählt Doris Dörrie, sei einerseits behütet, andererseits aber auch sehr frei und „ohne Rollenerziehung“ aufgewachsen. Die jungen Leute von heute hingegen müssten sich in einer Welt der Social Media ständig beobachtet und kontrolliert vorkommen.
Schon immer, auch in der „Männer“-Komödie, habe sie zu ergründen versucht, „warum wir alle so seltsam sind“. Und fügt an: „Seltsam und unterhaltsam.“ Rund 40 Filme hat sie abgedreht, die jetzt auf einer Retrospektive in München zu sehen waren, unzählige Bücher, vom Drehbuch über den Erzählband bis zum Roman verfasst. Auch als Regisseurin für die Theater und Opernbühnen ist Doris Dörrie bis heute gefragt.
Dort, wie auf dem Film-Set auch, ist ihr Arbeitsstil nicht der von Hollywood-Diktatoren. „Man muss die kreativen Fähigkeiten von allen einbinden“, sagt sie. „Ich verstehe die Arbeit als Spiel.“ Auch in dunklen Zeiten, wie nach dem frühen Tod ihres ersten Mannes, hat sie „das Schreiben als Technik zum Glück“ begreifen gelernt, für „kleine Momente von Zufriedenheit“.