Musik

Kammermusik – Mit innerer Kraft

Nun auch im Reutlinger Kammermusikzyklus zu Gast: das vielfach ausgezeichnete Trio Orelon mit „Vasks wird 80!“

REUTLINGEN. Seit der Gründung 2019 ist das Trio besetzt mit Marco Sanna (Italien), Arnau Rovira i Bascompte (Spanien) und Judith Stapf (Deutschland); der Name „Orelon“ meint das Esperanto-Wort für „Ohr“.

Wer das Ensemble von seinem Auftritt im Sommerrefektorium des Klosters Bebenhausen im Vorjahr noch im Ohr hat, darf staunen. Dort spielten die drei ebenfalls ein Klaviertrio von Joseph Haydn (Hob. XV:10) und vermittelten im halligen Sakralraum den Eindruck einer pauschalen Dramatik, die zwar die Zuhörer mitriss, aber der Komposition nicht ganz gerecht wurde.

Lob für den „wunderbaren Saal“ vom Trio Orelon. Fotos: Susanne Eckstein

Nun klingt ihr Haydn – diesmal das Klaviertrio A-Dur Hob. XV:18 – ganz anders, nämlich leicht, präzis und ausgewogen, im Finalsatz witzig-spritzig und damit ganz im Sinne des Erfinders. Kann es sein, dass die Akustik sich derart auf die Interpretation auswirkt? Der Kammermusiksaal der Reutlinger Stadthalle bietet tatsächlich eine optimale Raumakustik, die jeden Ton offenlegt und trägt – nicht nur fürs Publikum, sondern auch für die Musiker, die so viel sensibler aufeinander reagieren können. Tatsächlich scheinen sich die drei von Beginn an wohlzufühlen, entfalten geist- und maßvolle Spielfreude und bedanken sich später ausdrücklich für den wunderbaren Saal.

Neue Musik gehört mittlerweile zu den Abo-Reihen dazu, meist ist sie vor die Pause platziert. In diesem Fall handelt es sich um eine Komposition des lettischen Komponisten Pēteris Vasks , dessen 2026 anstehender 80. Geburtstag das (vom Veranstalter vergebene?) Motto des Abends „Vasks wird 80!“ inspiriert hat, „Episodi e Canto perpetuo ‚Hommage à Olivier Messiaen’“, entstanden im Jahr 1985.

Geigerin Judith Stapf erläuterte die Neue Musik. Foto Susanne Eckstein

Man muss Messiaens Musik nicht kennen, um von Vasks acht attacca ineinander übergehenden Episoden beeindruckt zu sein. Sie zeugen von eigenständigem Denken auf tonaler Basis und verbinden motivische Arbeit, basierend auf einfachen Elementen, mit einer „schwierigen Reise durch innere Not, Enttäuschung und Kummer“, wie Vasks den Verlauf selbst umschrieben hat. Die Abschnitte sind überschrieben mit „crescendo“, „misterioso“, „unisono“, „Burlesca I“, „Monologhi“, „Burlesca II“, „Canto perpetuo“ und „Apogeo e Coda“ (wobei „Apogäum“ die erdfernste Position eines Himmelskörpers bezeichnet).

Die Faktur ist durchsichtig bis karg, das Klavier liefert Akzente oder Akkorde, und die stark kontrastierenden Abschnitte werden vom Trio Orelon schonungslos nach Vorschrift umgesetzt. Im Mittelpunkt stehen Bewegung und Klanglichkeit. Vasks ostinate Motorik wird mit insistierender innerer Kraft durchgehalten, ebenso die eine eigene Wirkung entfaltenden Artikulationsvorschriften: trockenes Flüstern, gedämpfte Saiten, unscharf flirrende Glissandi, metallische Härte. Ganz nüchtern wird geschärft und zugespitzt, dunkle Kantilenen wechseln mit kalter Wut.

Das Herzstück ist der „canto perpetuo“: Er wird zu einem weit gespannten „ewigen Gesang“, der sich zu unerträglicher Spannung und in extreme Höhe steigert, ohne nachzulassen – beklemmende Visionen ohne Worte, kongenial umgesetzt.

Nach der Pause geht es mit dem Klaviertrio Nr. 1 in d-Moll (op. 3, 1894) von Anton Arenski in vertraute, spätromantische Gefilde. Arenski hat mit diesem Werk dem 1889 verstorbenen Solocellisten Davidow ein viersätziges, kontrastreiches Denkmal gesetzt: schwärmerisch der erste Satz, knapp formuliert der tänzerische zweite, als klagende Elegie der dritte und als eine Art Apotheose der Finalsatz.

Auch Pathos und Emphase sind wohldosiert beim Trio Orelon. Foto: Susanne Eckstein

Das Trio Orelon wird auch diesem Werk in jeder Hinsicht gerecht; gerade die Artikulation wird – nach der Erfahrung mit Vasks? – bewusst gestaltet und geschärft, die Klanglichkeit mal solistisch, mal orchestral in ihrem ganzen Spektrum ausgekostet. Der Zugriff ist frisch und spielfreudig, das Zusammenspiel nahtlos, Pathos und Emphase sind wohldosiert am rechten Platz.

In der „Elegie“ öffnen die drei ein Fenster in eine andere Welt, sie tragen die Töne behutsam wie kostbares Geschmeide im ruhigen Raum – danach ist es so still im Saal, dass man die Lüftung leise rauschen hört. Das kontrastreich gesteigerte Finale wird mit viel Applaus quittiert, und das Publikum darf sich über eine gehaltvolle Zugabe freuen: den Scherzo-Satz aus Dvořáks Klaviertrio Nr. 3.

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