Philipp Amelungs Akademisches Orchester spielte eine Uraufführung und Bruckners Dritte im Tübinger Festsaal und in der Ludwigsburger Friedenskirche
TÜBINGEN/LUDWIGSBURG. Trotz großer Konkurrenz von Sommerwetter, Stadtfest und anderen Konzerten füllte sich der Festsaal der Tübinger Universität am Samstagabend zu drei Vierteln, als Philipp Amelungs Akademisches Orchester die Uraufführung eines Klavierkonzerts von Randall Svane mit dem jungen US-Solisten Itay Goren erklingen ließ. Danach widmete sich das riesige Orchester der „Wagner“-Sinfonie, der Dritten von Anton Bruckner. Wir haben aus Termingründen am Sonntagabend den zweiten Auftritt in der akustisch besser geeigneten Ludwigsburger Friedenskirche besucht, ein Benefizkonzert für die dortige Walcker-Orgel.

Es ist ein Dreiecksverhältnis zwischen Philipp Amelungs Tübinger Uni-Orchester, dem amerikanischen Komponisten Randall Svane und dem Pianisten Itay Goren, der Widmungsträger des uraufgeführten Klavierkonzerts ist. Svanes Violinkonzert erklang 2013 im Festsaal, Itay Goray konzertierte im Jahr 2019 mit Brahms‘ Zweitem in Tübingen.
Man darf solch zugängliche Musik nicht mit dem Vorhalt des Eklektizismus (oder der abwertenden Vorsilbe „Neo“) belegen, dieser Freiheit, sich der Vielfalt an Stilen und Vorbildern zu bedienen. Deutschem Dogmatismus tut sie sicher nicht ganz Genüge. Randall Svane, 1955 im uramerikanischen Pittsburgh geboren, nennt Benjamin Britten. Diese erweiterte Tonalität, diese freie Harmonik und diesen Hang zur Melodie nehmen auch Tonsetzer vom bedeutenden Filmkomponisten Hans Zimmer bis hin zu einem Wolfgang Rihm zur Grundlage für ihr Streben nach Ausdruck.
Auch formal huldigt das dreisätzige Werk durchaus der Tradition: Der düstere Kopfsatz mit der Bezeichnung „Slow and measured“ als Variante der langsamen Introduktion mit lyrischem Intermezzo, ein ruhiger Mittelsatz mit melodischen Neigungen und ein bewegtes, apokalyptische Bilder zeichnendes Finale, „Toccata. Moderately fast“ überschrieben.

Natürlich ist der junge, doch schon gleich nach seinem Examen in New Jersey lehrende Widmungsträger bestens vorbereitet, vielleicht sogar sorgsam eingewiesen in das kontrastreiche Konzert. Das Akademische Orchester lässt ihm trotz aller Klangfluten und infernalischen Vulkanausbrüche den nötigen Raum für seine vielfältigen Figurationen, die von wuchtigen Akkordfolgen über Fugati, wilde Läufe und Arpeggien bis zu zarten melodiösen Bögen reichen. Die an Mahler geschulte Dramaturgie setzt auf viel Klangfarbe – exemplarisch das Schlagwerk mit den Röhrenglocken, die geradezu Alarm geben – und kennzeichnet die Besetzung und den Satz.

Den schönen Einsatz von einzelnen Instrumentengruppen, der nach der Pause auch die Bruckner-Sinfonik prägt, steuert Philipp Amelung, der Universitätsmusikdirektor, mit klarer und präziser Schlagtechnik, die irgendwelche suggestiv extrovertierte Gesten gar nicht braucht: Alles ist bis in kleinste Feinheiten einstudiert, geprobt und abgesprochen. Itay Goren, mit Anschlagsvielfalt, Kraft und Geläufigkeit ausgestattet, gab für den großen Beifall in Tübingen einen Chopin-Walzer zu, in Ludwigsburg die improvisatorische Bearbeitung eines Kantaten-Chors von Bach.
Anton Bruckners Dritte in d-Moll hat nicht das größte Renommee in der Reihe seiner Sinfonien. Man hat sich nach Eduard Hanslicks Wiener Verriss schnell auf das per se widersinnige Etikett „Schematismus“ geeinigt. Richard Wagner, der sie als Widmungsträger gegenüber der Zweiten vorzog, konnte mit der Musik seines so frommen wie unterwürfigen Verehrers und mit seinem schrulligen Wesen wahrscheinlich eher wenig anfangen. Immerhin behandelte er Bruckner stets mit höflichem Respekt. Dass die vielen Wagner-Zitate der Erstfassung aus dem Bayreuther Begegnungsjahr 1876 bis zur dritten des Jahres 1889 wegfielen, dürfte wohl keine persönlichen Gründe gehabt haben.
Zu Bruckners beliebten Schemata gehören Themen mit einfachen Intervall-Motiven, die dann – immer noch schlicht – fortgesponnen werden. So ist das in der Dritten auch: Ein über die Quint abfallender Oktavsprung, aus einem leisen Misterioso von der Trompete sanft ausgesponnen und den Holzbläsern weitergereicht, prägt den ganzen ersten Satz. Ein Bruckner muss atmen. Und auch die donnerndsten Fortissimi sollten noch Struktur haben. Dafür bot das Akademische Orchester durchgehend Gewähr.
Im zweiten Satz umgekehrt: das dreifache Pianissimo der gut und gerne 30, 40 Geigen kurz vor Schluss war von magischer Zartheit. „Ziemlich schnell“ sollte der dritte Satz genommen werden, der im Charakter keinen Kontrast gegenüber Kopfsatz und Finale bietet. Grandiose Steigerungen, mächtige Schichtungen, Skalen, Choralsatz, viel Pathos und andächtiges Innehalten wechseln einander ab. Das war alles ganz sauber ausgearbeitet und klang überwältigend bis zum triumphalen Schluss des finalen Allegro in D-Dur, den der Dauerwirbel der Pauken ankündigt.

