Im Festsaal der Tübinger Universität gab das Amsterdam Tango Trio am Montagabend eine umjubelte Hommage an den Meister des argentinischen Tango Nuevo
TÜBINGEN. Seit Astor Piazzolla im Jahr 1992 starb, wächst sein Ruhm geradezu täglich. Weltweit. Einer, der noch mit dem Meister musizieren durfte, kam am Montagabend zu einer Hommage mit allen Klassikern des argentinischen Tango Nuevo, dazu Werken von Ottorino Respighi und Manuel da Falla, in den Festsaal der Tübinger Universität. Der Bandoneon-Virtuose Carel Kraayenhof führte das Amsterdam Tango Trio mit der Violinistin Lisa Jacobs und Sofia Vasheruk am Flügel an. In seiner Heimat Holland ist er seit der königlichen Hochzeit von Willem-Alexander und Máxima eine nationale Institution.

Bei einem Auftritt von Astor Piazzolla und seinem Ensemble in den Niederlanden anno 1985, so erzählte Carel Kraayenhof, war das Bandoneon des argentinischen Tango-Königs kaputt gegangen. Verzweifelt suchte man einen Ersatz und fand ihn bei Kraayenhof, der das seltene, von Europa sozusagen ganz nach Argentinien ausgewanderte Handharmonika-Instrument, eine deutsche Erfindung des Krefelder Musiklehrers Heinrich Band, zur Verfügung stellen konnte. Kraayenhof durfte auch vorspielen. Aus der Zusammenarbeit, „ein Traum“ für den Holländer, wurde eine Freundschaft samt Besuch im uruguayischen Ferienhaus Piazzollas und in New York.

Astor Piazzolla (1921 bis 1992) war als kleines Kind mit seinen italienischstämmigen Eltern einer Wirtschaftskrise wegen von Buenos Aires nach Amerika ausgewandert. Des väterlichen Heimwehs halber musste der Junge das Bandoneonspiel erlernen. In New York faszinierte ihn eine Nachbarin, die Bachs Wohltemperiertes Klavier übte. Später riet die große Pariser Kompositionslehrerin Nadia Boulanger ihrem begabten Studenten, sich auf seine Wurzeln als Tangomusiker in den Kaschemmen und Bordellen von Buenos Aires zu besinnen, für die er sich geschämt hatte. Piazzolla entwickelte als Musiker und Komponist die Traditionen des argentinischen Tango zu seinem unverwechselbaren Tango Nuevo weiter.
Wie Piazzolla markieren auch der Italiener Ottorino Respighi und der Spanier Manuel de Falla die Grenze zwischen Spätromantik und Moderne, die Spannung zwischen Volkskunst und Klassik, der Argentinier besonders auch zwischen Konzertsaal und Unterhaltung. Der Festsaal war allerdings nur zu gut zwei Dritteln besetzt, als Lisa Jacobs, Geigenprofessorin an den königlichen Konservatorien im holländischen Den Haag und im belgischen Gent, an der Seite der russisch-stämmigen Pianistin Sofia Vasheruk mit drei (von fünf) Stücken für Violine und Klavier begann, die der junge Ottorino Respighi noch vor dem Ersten Weltkrieg und seinen Erfolgen als Sinfoniker geschaffen hatte.

und ihre Klavierbegleiterin Sofia Vasheruk. Foto: Martin Bernklau
Das Duo spielte diese subtilen Miniaturen aus dem Spannungsfeld zwischen französischem Impressionismus, deutscher Spätromantik und volkstümlich italienischem Liedgut mit der angemessenen zarten Expressivität. Da waren auch mal Schleifer drin im geraden und klaren, von einem Impuls-Vibrato aus dem Handgelenk geprägten Geigenton von Lisa Jacobs. Sofia Vasheruk, die als Solistin einen doch eigenwilligen Stil pflegt, verstand sich ganz als behutsame Begleiterin der liedhaften Linien. Ungemein fein abgestimmt zwischen den beiden waren die Synkopen und Gegenrhythmen, auch die wenigen eruptiven Passagen etwa in der „Aubade“.
Manuel de Fallas „Asturiana“ ist ein kleines Juwel destillierter Schlichtheit und langsam pulsierender Ruhe, das der aus Andalusien stammende Komponist der nordspanischen Region Asturien und ihrem Volkslied gewidmet hat. In der schmucklos tiefen, fast andächtigen Deutung des Duos gewann es eine magische Intensität in seinen kargen, oft oktavierenden Harmonien, der meditativen Rhythmik und den schwebenden Melodien.
Für die elf Piazzolla-Stücke schwebte dann spielend und spielerisch Carel Kraayenhof mit seinem Bandoneon von rechts zum Duo herein. Mit „Oblivion“, dem Vergessen, begann es, mit einer anderen Version dieser so suggestiv verdichteten Milonga in melancholischem c-Moll als Zugabe endete es. Leidenschaftlich, fast inbrünstig gestalteten der Bandeonist und die Geigerin das Stück als Dialog, auf der durchaus von Bach inspirierten Harmonik, die Sofia Vasheruk als Basis zelebrierte, natürlich mit dieser Agogik, die das Verzögerte des Tango-Rhythmus weg vom Tanz, aber zu um so mehr temperamentstarker Ausdruckskraft führt.
Immer feuriger, leidenschaftlicher und rauschhafter, dabei aber ganz präzise abgestimmt, gestaltete das Trio die Piazzolla-Meisterwerke, die oft fast improvisatorisch frei wirkten, aber genau notiert sind. Für Lisa Jacobs war solistisch eine furiose Tango-Étude Nr. 3 mit halsbrecherischen Läufen dabei, in den düsteren Dialog der „Romance del Diablo“ warf die Pianistin ihre kontrastierenden Figuren ein. „Escualo“, der Haifisch, erinnerte Carel Kraayenhof an die scharfen Zähne des riesigen Fischschädels, den Piazzolla überm Esstisch seines Ferienhauses hängen hatte.
Zum berühmten „Adiós Nonino“, das Piazzolla 1959 dem Andenken seines geliebten Vaters gewidmet hatte, gab es noch eine besondere Geschichte von Carel Kraayenhof. Er spielte es zur Hochzeit von Máxima mit dem niederländischen Thronfolger Alexander im Jahr 2002. Weil deren Vater während der argentinischen Militärdiktatur als Minister Schuld auf sich geladen hatte, durfte er nicht an der Feier teilnehmen. Die Tränen der Tochter gingen um die Welt, Kraayenhofs Musik auch. Sein hochvirtuoses und tief emotionales Spiel auf der mit ihren zwei Tastaturen (ohne Akkord-Knöpfe) schwierig zu spielenden Handharmonika berührte die Zuhörer ebenso sehr wie das technisch wie an Ausdruckskraft hinreißende Violinspiel von Lisa Jacobs.
Auch Sofia Vazheruk konnte hin und wieder solistische Brillanz einstreuen, hielt diesen hochexpressiv variablen Gesamtklang aber meist als Scharnier sensibel zusammen. Ihr Part unter den so einprägsamen Melodien spiegelte am deutlichsten die Bach-Einflüsse auf Piazzollas Musik wider. Die „Milonga“ und „La Muerte del Angel“ klangen ebenso überwältigend wie der „Libertango“ oder die wilde Motorik von „Michelangelo“. Ein eigenes Stück nach Piazzolla-Motiven steuerte Carel Kraayenhof mit „Desconcierto“ bei, dem Gedenken an seine eigenen Eltern zugeeignet.
Mit immer begeisterterem Beifall feierte das Publikum dieses hinreißende Tango-Trio.




Caro Basler
09.12.2025 15:22 at 15:22
Eigentlich ein nutzloser Kommentar, aber ich wollte nur bekräftigen, dieser Abend war toll!
Ausgezeichnete Musiker und gespielt mit viel Herz.
Schade, daß es so leer war