Kino

Stella – die jüdische Verräterin

Im Tübinger Museum und im Reutlinger Kamino läuft „Stella. Ein Leben.“

TÜBINGEN/REUTLINGEN. Es gibt Geschichten, und das Leben der Stella Goldschlag gehört dazu, die sind so krass, dass sie sich schlicht nicht fürs Kino und auch für keinen Roman eignen. Oder kaum. Der „Spiegel“-Journalist Takis Würger hat sich (nach dem jüdischen Zeitzeugen Peter Wyden) als Romancier an dem Stoff versucht, und jetzt hat der Regisseur Kilian Riedhof „Stella. Ein Leben.“ auf die Leinwand gebracht. Der Film läuft im Tübinger Museum und im Reutlinger Kamino.

Stella Goldschlag (Paula Beer) wächst in einer großbürgerlich jüdischen Berliner Künstlerfamilie auf. Sie liebt sich selbst – der Spiegel, ein schönes, knappes Leitmotiv – und den verbotenen Jazz, ist blond, blauäugig, bildschön und begabt, träumt vom Broadway und will nicht wahrhaben, was da droht. Mit Chuzpe und Cleverness, Kaltblütigkeit und Glück kommt sie jahrelang ganz gut durch die Jahre der Judenverfolgung, hilft den Ihren und ein paar anderen Juden nach dem Beginn der Vernichtung sogar mit gefälschten Pässen. Irgendwann wird sie verraten, fliegt auf, kommt in die Keller der Gestapo-Zentrale und wird zu einem blutigen Klumpen Fleisch gefoltert. Dann wird sie selbst zur „Greiferin“, Denunziantin, Verräterin, Täterin.

Stella (Paula Beer). Fotos: Verleih.Repros: mab

Ihre Eltern kann sie nicht retten. Hunderte, vielleicht tausende Juden soll die echte Stella an Messer und ins Gas geliefert haben. Die russischen Besatzer verurteilten die üble Kollaborateurin nach Kriegsende zu zehn Jahren Lagerhaft. Lang nach ihrer Freilassung und Abschiebung steht sie vorm Westberliner Landgericht Moabit und bekommt noch einmal zehn Jahre Zuchthaus aufgebrummt, wegen Beihilfe zu Mord und Freiheitsberaubung. Die Strafe gilt aber als im sowjetischen Gulag verbüßt. Stella wird sogar zur Antisemitin. Zehn Jahre nach einem Selbstmordversuch durch einen Fenstersturz findet man ihre Leiche in einem Weiher bei Freiburg.

Die Greiferin der Gestapo.

Die Geschichte ist – vor allem anhand der Gerichtsprotokolle – gut recherchiert und bis auf ein paar Kleinigkeiten (der Schnee, die etwas unbeholfen bebilderten Bombennächte, manche Straßenszenen) filmisch gut umgesetzt. Paula Beer gibt diese extrovertierte Stella so großartig wie Katja Riemann deren zurückhaltende Mutter. Vielleicht überspielt sie ein bisschen, wie Niklas Mitteregger als brutaler, versoffener und zu Weihnachten rührseliger SS-Hauptscharführer die Intensität dieser Monster-Figur etwas überzeichnet. Der Massenmord in Auschwitz rührt den Gestapo-Mann zu Tränen. Auch Jannis Niewöhner als Denunzianten-Komplize Rolf übergeigt zu oft seinen Typus.

Da sind wir auch schon bei den Klischees. In dem zu schnellen, szenisch überfüllten und hektisch geschnittenen Film – ein fragwürdiger, widersprüchlicher Charakter kann sich genauso wenig entwickeln wie die ganz allmähliche Steigerung des Nazi-Terrors – wimmelt es von Minute zu Minute mehr von schachernden, reichen, trickreich verschlagenen Juden und, trotz Intelligenz und Kultur, dumpfen Schafen. Den Verbrecherstaat verkörpern nur seine widerwärtigsten Schergen, kein massenweises Mitläufertum und kein notorisches Wegschauen.

Und damit stellt sich die zentrale Frage: Lenkt die aus der Not heraus abgrundtief böse gewordene Jüdin, die Täterin Stella, bei aller drastischen Schilderung des Nazi-Grauens, nicht ab vom eigentlich Bösen, nachdem schon der gute Nazi Schindler (auf anderem filmischem Niveau), nachdem „Unsere Mütter, unsere Väter“, im „Untergang“ sogar der Mensch in Hitler den Weg auf die Leinwand gefunden haben. Die Opfer als Täter et vice versa. Und muss das ausgerechnet ein deutscher Film tun, den normalen Nazi durch die böse Jüdin relativieren?

Das ist eben nicht nur der krasse Einzelfall, die unglaubliche Geschichte, die Perspektive der Anderen. Es ist ganz schnell ganz nah am antisemitischen Denk- und Propagandamuster, wie es gerade in Nahost wieder durchexerziert wird. Dem Vorwurf muss sich Kilian Riedhofs „Stella. Ein Leben.“ stellen. Die Mahnung, das beschworene „warnende Beispiel“ aus dem Abspann ist nicht nur unlogisch. Es ist Ausrede.

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