Im Sommerrefektorium von Kloster Bebenhausen spielte Gudni Emilssons Tübinger Kammerorchester mit Konzertmeister Peter Weimar als Solist
BEBENHAUSEN. Das war ein echtes Heimspiel: Schon Tage vorab war das Konzert des Kammerorchesters Tübingen ausverkauft. Am Samstagabend traten Gudni Emilssons Streicher mit ihrem Konzertmeister Peter Weimar auf die Bühne des Sommerrefektoriums von Kloster Bebenhausen.
Die kleine Kammerbesetzung tat dem großen Klang keinen Abbruch. Der einstige Speisesaal der Mönche hat auch bei vollbesetzten Reihen eine tolle Akustik. Für Felix Mendelsson Bartholdys kleine Sinfonie Nr. 10 in h-Moll, die filigrane Fingerübung eines 14-jährigen Genies, wirkte sie stellenweise zu wuchtig. Die früh entwickelte Eleganz, dieser beschwingte Zug, sie waren ganz da unter der präzisen Stabführung von Gudni Emilsson. Nur ein paar ganz weiche Stellen hätten in ihrer sanften Melodik noch ein wenig leiser ausfallen dürfen.

Beim Kopfsatz von Johann Sebastian Bachs Violinkonzert E-Dur mit seinem fast fanfarenhaft aufsteigenden Dreiklang passte der kraftvolle, bisweilen kantige Zugriff hingegen ganz ausgezeichnet. Dafür nahm sich das Orchester im innigen Mittelsatz mit seinen tupfenden Portati oft genug ganz in behutsames Piano zurück, um dem Solisten allen Raum für seine schön phrasierten Kantilenen zu geben. Sogar das Glitzern des Cembalos als Generalbass-Ergänzung war genau zu hören und gab dem Klang besondere Farbe.
Seine saubere Bogenführung, die schon bei den genauen Arpeggi des ersten Satzes für vorbildliche Transparenz gesorgt hatte, dazu ein elegantes Handgelenks-Vibrato zeichnen die intensive Tongebung von Peter Weimar aus. Im Finale, Allegro assai, sorgte dieser energische Strich des Solisten mit dem synkopischen Schwung für eine höchst ansteckende Spielfreude.

Nach der Pause legte Peter Weimar vom ersten Pult aus all die Wärme seines Tons in ein ganz besonderes Stück: das von John Williams für Steven Spielbergs Shoah-Drama „Schindlers Liste“ geschaffene tief ergreifende Thema. Der Bratsche, oft genug vernachlässigt unter den Streicherstimmen, war dabei – wie im abschließenden Schostakowitsch – ganz zu Recht eine herausgehobene Rolle zugedacht. Auch die erste Cellistin fiel mit ihrem wunderbar sonoren, dicht gestrichenen Ton auf.

Dimitri Schostakowitsch (1906 bis 1975), einer der vielseitigsten und begnadetsten Komponisten der klassischen Moderne, war ein Leidender; und blieb trotz des von Gängelung („Formalismus!“) bis zum bedrohlichen Terror reichenden Drucks von Stalin und seinen Nachfolgern doch Kommunist und russischer Patriot – und tapfer bis zum Schluss. Sein Streichquartett c-Moll, das achte, als Kammersinfonie-Bearbeitung von Rudolf Barschai unter Opus 110 a seinem Werkverzeichnis beigefügt, ist ein Bekenntnisstück, das er 1960 bei einem verordneten Aufenthalt im noch immer schwer kriegsversehrten Dresden komponiert und „Den Opfern von Faschismus und Krieg“ gewidmet hat. Er verstand es aber auch als sein eigenes Requiem, de profundis, aus den Tiefen, am Abgrund.
Das Vierton-Motiv, das wie ein Stempel und Siegel alle fünf Sätze prägt, hat er analog zu Bach aus den Tönen D, Es, C und H gefügt, das Signet und Symbol seines Namens, das mit dem „Sch“ (statt des kyrillischen Ш) nur in westlicher, ja deutscher Sprache und Schrift funktioniert. Das Stück ist so übervoll von Zitaten eigener Werke, drastischer Tonmalerei wie den drei brutalen Schlägen, verschiedenen Satztechniken wie dem einleitenden Fugato und Anspielungen von Mahler bis zum jüdischen Totengebet Kaddisch, dass die überlieferte Schöpfung binnen dreier Tage geradezu unfassbar erscheint – ein wahrhaftiges Genie.
Dem Kammerorchester gelang es auch ganz eindrücklich, die geradezu bildhaft düstere und höchst suggestive Klanglichkeit des Stücks herzustellen. Große gestische und dynamische Kontraste, von gnadenloser Wucht bis zu fragil schwebenden, verletzlichsten Pianissimi am Rand des drohenden Absturzes. Die hohe Genauigkeit kam aus absoluter Konzentration und spürbarer innerer Teilnahme – und war natürlich auch das Ergebnis sorgsamer Einstudierung.

Der Beifall eines tief ergriffenen Publikums war – nach langer, tiefer Stille – noch viel stürmischer und länger als zur Pause. Mit der Zugabe von Edward Elgars „Salut d‘ Amour“ holte das Kammerorchester seine Zuhörer wieder zurück in die Leichtigkeit einer sommerlichen Serenaden-Stimmung.
