Mit Chopin, Liszt und Charles Valentin Alkan fesselte der Pianist Joseph Moog am Dienstag sein Publikum im Festsaal der Tübinger Universität
TÜBINGEN. Er hat alles, was es braucht – und eine Menge mehr. Der vielfach ausgezeichnete Pianist Joseph Moog bot am Dienstagabend im Festsaal der Tübinger Universität ein rein romantisches Recital mit Werken von Chopin, Liszt und ihrem eher unbekannten Zeitgenossen Charles Valentin Alkan. So ein Soloprogramm mit solch einem faszinierenden Künstler hätte dem Kulturreferat und der Museumsgesellschaft früher vollbesetzte Reihen beschert. Die aber blieben diesmal nur etwa hälftig besetzt. Das Publikum und sein Geschmack haben sich geändert.

Neben tiefer Musikalität, einem ganz eigenen Klangwillen und seinem originellen Zugriff zeichnet den 1987 geborenen Joseph Moog vor allem eine herausragende Virtuosität, insbesondere seine unfassbare Geläufigkeit aus. Die stellte er ganz in den Dienst der beiden Götter des Genres, Frédéric Chopin und Franz Liszt. Aber er stellte, damit sich Originelles zum Bekannten gesellt, auch Charles Valentin Alkan (1813 bis 1888) vor, mit dessen sechsteiliger Suite „Troisième recueil de chants“.
Dieses zumindest hierzulande weitgehend unbekannte Werk rahmte Joseph Moog mit den beiden ersten der vier Scherzi von Frédéric Chopin ein, wobei er sich auf durchaus auf dessen Anweisungen („con fuoco“) berufen konnte. Als Form (A-B-A) ist das Scherzo dem Menuett mit seinem lyrischeren Mittelteil („Trio“) und seiner Reprise verwandt, wurde aber schon von den älteren Sinfonikern frei gehandhabt und erweitert. Moog setzte auf die Kontraste in Klang, im Charakter von wild und heftig gegen weich und melodisch, von heiter gegen grimmig – und auch im Tempo.
Vielleicht waren die Blitze, Fanfaren und dissonanten Akkorde, vor allem in der Nr. 1 b-Moll, etwas schärfer, härter, auch lauter, als die meisten Interpreten sie Chopins vermeintlich weicher, zumindest milder Eleganz gewöhnlich angedeihen lassen. Besonders fiel aber das rasende Tempo der Läufe auf. Zwar trifft das den Charakter von brodelnder Bewegung vollkommen. Und Chopin lag Virtuoses bis zur Grenze, die Staunen machende Geläufigkeit, ja durchaus auch am Herzen. Doch werden diese Läufe und Skalen bei solch wahnwitzigen Tempi zu ununterscheidbaren Linien, denen keine Kette einzelner Töne mehr abzuhören ist. Sie verschwimmen, wie manchmal die Nebenstimmen auch, zumal Moog für seine orchestrale Klangwucht auch noch relativ viel Pedal einsetzte.
Vielleicht hat Charles Valentin Alkan, der auch ein begnadeter Virtuose gewesen sein muss, sein kompositorisches Schaffen deshalb allmählich eingeschränkt, weil ihm klar wurde, dass er den unverkennbaren Ton Chopins, der gleichfalls und zeitgleich in Paris gewirkt hatte, nicht erreichen konnte. Dabei zeigt diese Sammlung von Liedern und Tänzen durchaus einen eigenen Ton, viel Temperament, Kontrast, auch lyrische Verträumtheit, melodische Erfindungsgabe und eine vergleichsweise recht wagemutige Harmonik. Moog gab den Stücken zwar durch Abgrenzung der Episoden auch mit relativ langen Pausen klare Struktur. Der virtuose Ansatz hatte aber auch hier notwenigerweise seinen Tribut an die Transparenz zu entrichten.

Der zweite Teil galt der Gegenüberstellung von Frédéric Chopin (1810 bis 1849) und seinem pianistischen Erbwahrer und Erb-Erweiterer Franz Liszt gerade in verwandten Formen wie der Polonaise – übrigens in einer sicher bewusst gewählten tonartlichen Abfolge: zweimal E-Dur, mit dem Chopin-Scherzo Nr. 4 und Liszts Polonaise Nr. 2, dann cis-Moll mit der zweiten Polonaise Frédéric Chopins und schließlich Des-Dur bei Liszts abschließender Ballade Nr. 1.
Joseph Moog blieb seinem Stil treu, womit Chopin bei aller Verspieltheit und Eleganz etwas kantiger klang als sonst gewohnt. Franz Liszt (1811 bis 1866) legte noch mehr Wert auf unbekümmert zirzensische Virtuosität als sein polnisch-französisches Pendant, dem nur die Hälfte an Lebenszeit vergönnt war. Und er brachte zusätzliche Dramatik, zusätzliche rhapsodische Freiheiten, sinfonischen Klang und im Gestischen so etwas wie Heroik und Pathos mit hinein in die romantische Klaviermusik. Auf Liszt schien deshalb besser zu passen, wie der Pianist das anging: Kontraste, plötzliche Wechsel und spannungsgeladene Pausen, wildeste Tempi, orchestrale Akkorde und Arpeggien, scharfe Spitzen, donnernde Bässe, markante Rhythmen (wie der Marsch in der finalen Ballade).

Der Beifall zuvor war etwas verhalten geblieben, was wohl auch mit dem nun nicht gerade überfüllten Festsaal zusammenhängen mochte. Aber zum Schluss feierte das Publikum diesen Klavierkünstler mit seiner furiosen Virtuosiät. Und Joseph Moog begann seine Zugaben-Reihe mit einem echten Kontrast. Er hatte George Gershwins „It’s wonderful“ selber bearbeitet, ganz nach eigenem Gusto: erstaunlich polyphon, mit orchestraler Klangwucht – was vielleicht ein wenig auf Kosten des Swing ging. Eine Chopin-Nocturne folgte, die zwar sanfter, einheitlicher im Charakter, feiner ausbalanciert war als die angeschärften Scherzi und die Polonaise, aber unter stilprägenden Deutungen wie der von Barenboim immer noch herausgestochen wäre – was aber eine Geschmacksfrage ist, keine von richtig oder falsch.


