Kino

„Der Held…“ – Die Legende lebt

Im Tübinger Museum und im Reutlinger Kamino ist Wolfgang Beckers federleichte Deutschland-Satire „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ angelaufen.

TÜBINGEN/REUTLINGEN. „Si non è vero è ben trovato“ *1), sagen die Italiener. Die Geschichte von der Massenflucht aus der DDR mit einer – wohl versehentlich – per falsch gestellter Weiche auf Westgleise umgeleiteten Berliner S-Bahn soll sich am 12. Juli 1984 tatsächlich so zugetragen haben, behauptete jedenfalls der Autor Maxim Leo in seinem 2022 erschienenen Roman „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“. Regisseur Wolfgang Becker, vor genau einem Jahr verstorben, hat sich des Stoffs angenommen und sich und dem wiedervereinigten Deutschland damit nach „Good Bye, Lenin!“ ein zweites filmisches Denkmal gleicher Art gesetzt: als federleichte Komödie und sanft funkelnde Satire mit schauspielerischem Star-Aufgebot – plus Kati Witt.

Wie viele der 127 DDR-Bürger das unverhoffte Angebot auf kapitalistische Freiheit in West-Berlin tatsächlich spontan angenommen haben, spielt in der steilen Story keine Rolle. Es geht um den Reichsbahner Michael Hartung (Charly Hübner), den die Stasi zunächst verdächtigt, am Stellwerk Friedrichstraße die Weiche absichtlich umgestellt zu haben. Er wird verhaftet, verhört und kurz in Hohenschönhausen eingeknastet, um schließlich strafhalber in den Braunkohle-Tagebau der Lausitz abgeschoben zu werden. Dann wird das peinliche Missgeschick vertuscht. Nach der Wiedervereinigung schlägt sich dieser Micha irgendwie als Besitzer einer nostalgischen Videothek durch – bis zum 30. Jahrestag des Mauerfalls.

Micha Hartung (Charly Hübner) wurschtelt und wohnt da so in seinem Videoladen herum, bevor ihn ein
Relotius-Reporter zum Helden hochjazzt.
Bild: Verleih

Zu diesem Gedenkdatum entdeckt ein Reporter des Magazins „Fakt“ – ganz spöttisch, fast höhnisch dem Relotius-„Spiegel“ oder dem „Stern“ der Hitler-Tagebücher nachempfunden – in Stasi-Archiven den alten Fall und jazzt ihn zur Heldentat mit rührseligsten Zutaten hoch. Diese alternative Wirklichkeit fesselt fortan den Journalisten und seinen unfreiwilligen Helden aneinander. Der schrullige und ziemlich abgerissene Videotheken-Besitzer, um den sich die Tochter (Leonie Benesch) liebevoll kümmert, wird gnadenlos durch die Medienmühle gedreht, in eine Talkshow an die Seite der (echten) Kati Witt *2) gesetzt und vom Bundespräsidenten zum Dinner in Bellevue empfangen. Er soll zur Feierstunde sogar eine Rede im Bundestag halten. Alles am Rande der Groteske, aber noch ausreichend plausibel. Und mit viel Reality.

Dazu lässt ihn das Bundeskanzler(innen)amt vorab dezent überwachen (als Observateur hat Wolfgang Becker sich da nach Hitchcock-Art eine winzigen Cameo-Rolle vorbehalten). Aus der Szene alter DDR-Oppositioneller, die das Gedenk-Geschäft bis dahin beherrschen, erwächst ihm ein bitterböser Konkurrent, der sich sogar mit einer zynischen alten Stasi-Charge verbündet, um den Hochstapler zu entlarven. Mit der Staatsanwältin Paula (Christiane Paul), die als junges Mädchen zu den DDR-Flüchtlingen in der umgeleiteten S-Bahn gehörte, bahnt sich nach Michas Fernsehauftritt eine zarte Liebesgeschichte unter etwas Älteren an. Da kommt dann auch etwas Tragik ins temporeiche Komische.

Die Staatsanwältin Paula (Chistiane Paul) und ihr ganz persönlicher Held Micha (Charly Hübner) am Bahnhof Friedrichstraße. Foto: X-Verleih

Eine stattliche Riege renommierter Schauspieler hat dem großen Wolfgang Becker für seinen Abschiedsfilm die Ehre gegeben, darunter Daniel Brühl, Leonie Benesch, Jürgen Vogel, Eva Löbau, Dan Levy oder Peter Kurth. Als der Regisseur kurz nach Ende der Dreharbeiten starb, erwiesen ihm Achim von Borries und Produzent Stefan Arndt mit ihrer ungemein sorgfältigen Post Production die denkbar schönste letzte Ehre.

„Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ ist ein ganz altmodischer Film. Aber er kann sich gerade deswegen auch mit alten Komödien messen wie denen eines Ernst Lubitsch oder eines Billy Wilder; oder, auf deutscher Ebene, mit Dietls „Schtonk“ und nicht zuletzt mit dem Geschwister-Film und Welterfolg „Good Bye, Lenin“. Dieses so exakte Drehbuch voll feinen Humors und besten Pointen mit virtuos verbundenen Handlungssträngen und Zeitebenen (von Constantin Lieb und Becker selbst verfasst) wurde mit der ganzen Erfahrung filmischen Handwerks ins Bild gesetzt. Jeder Einstellung sieht man geradezu liebevolle Sorgsamkeit und Kreativität an. Dass der Film sich aller woken Modethemen enthält, kann man auch mal als wohltuend empfinden. Allerschönstes Kino, geistreich und witzig.

(FSK ab 6)

*1) „Wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden“. Das geflügelte Wort geht auf ein Zitat (1583) des Humanisten, Aufklärers und auf dem Scheiterhaufen in Rom verbrannten Wissenschafts-Märtyrers Giordano Bruno zurück.

*2) Kati Witt, die Eislauf-Legende der DDR, zitiert oder persifliert in dieser Szene die legendäre Begebenheit, als eine merklich angeschickerte Romy Schneider 1974 in Dietmar Schönherrs Talkshow „Je später der Abend“ den Autor, verurteilten Bankräuber und Macho Burkhardt Driest lasziv anschmachtet: „Sie gefallen mir… Sie gefallen mir sehr.“

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