Zum Totensonntag führt Ingo Bredenbachs BachChor in der Tübinger Stiftskirche Schuberts große As-Dur-Messe und mit der Camerata viva die kleine Trauersinfonie von Joseph Martin Kraus auf
TÜBINGEN. Der Toten- oder Ewigkeitssonntag ist ein sogenannter Stiller Feiertag. Eigentlich hat Franz Schuberts Große Messe in As-Dur – er nannte sie selber „solemnis“, also feierlich – nichts von einem Requiem in stillem Gedenken. Von Ewigkeit und Majestät schon eher. Aber getreu dem Doppelsinn dieses Tages fügte Ingo Bredenbach dem prachtvollen Werk für seinen BachChor die kleine Symphonie funèbre bei, die Joseph Martin Kraus für seinen Dienstherrn komponiert hatte, den schwedischen König Gustav III., der bei einem Attentat getötet worden war. Das Konzert mit der Camerata viva war ganz ordentlich besucht.
Die kleine Trauersinfonie von Joseph Martin Kraus, von den Lebensdaten her ein enger Zeitgenosse Mozarts, ist ein wunderbar zartes, wunderbar melodisches, wunderbar melancholisches Stück Instrumentalmusik – vor allem, wenn man es so behutsam tastend angeht wie Ingo Bredenbach mit der Camerata viva, die mehr auf Artikulation denn auf Wohlklang ausgerichtet war. Hier muss einmal ein Solist als erstes erwähnt werden, der gewöhnlich nur grollenden Hintergrund abgibt: der Paukist.

Seine Figuren hatten thematisches Gewicht, und er formte sie mit höchster Feinheit und Präzision (übrigens auch in der Schubert-Messe, wo er hin und wieder etwas lauter donnern durfte; die Zeit, seine empfindlichen Instrumente ganz leise ganz genau zu stimmen, gewährte ihm Ingo Bredenbach gern). Die tupfende Leichtigkeit und sanfte Intensität hielt die Camerata viva nicht über alle Sätze der Sinfonie vollkommen durch. Aber das minderte den schönen Eindruck kaum, den dieses dankenswerterweise entdeckte Werk schwedischer Klassik machte.
Der BachChor in all seiner Größe ist inzwischen so gut geschult und erfahren, dass Bredenbach in relativ kurzer Folge auch solche monumentalen Werke wie Schuberts As-Dur-Messe vertrauensvoll angehen kann, auf die der 25-jährige Franz Schubert ungewöhnlich viel Anspruch und auch Arbeitszeit gelegt hat. Die Architektur, auch in der innovativen, auf Farbe und Spannung angelegten Tonarten-Symmetrie, dazu eine Satzkunst auch im Traditionellen, wo Schubert ganz offenbar zeigen wollte, dass er auch den Kontrapunkt perfekt beherrscht und trotzdem originell handhabt, seien nur am Rande erwähnt.
Auch hier ging es mehr um Artikulation als um einen feinen Vokalklang, natürlich auch um das Herausmeißeln der scharfen Kontraste und eine präzise Stimmführung etwa in der in jeder Hinsicht grandiosen „Cum sancto“-Fuge, wo dann Kraft und Konzentration nicht durchgängig durchzuhalten waren. Aber nur zwischenzeitlich. Tiefen Eindruck machten aber auch die kraftvollen Rufe im „Gloria“ und andere triumphale Stellen – oder das „Et incarnatus“.
Im Dialog mit dem BachChor, aber auch in herrlichen Terzetten und Quartetten war ein bewährtes Solisten-Team aus der glanzvollen Sopranistin Anne Schneider, ihrer aus Tübingen stammenden Alt-Kollegin Pauline Stöhr, dem Calwer Aurelius-Spross Thomas Volle sowie dem gefragten Matthias Lutze, der seinen Bass-Bariton auch geschmeidig in voluminöse Tieflagen führen kann, ohne aufzutrumpfen. Schwer, da jemanden herauszuheben – vielleicht hatte Thomas Volle mit bedarfsweise eminent lyrischer Stimmführung die beste Tagesform.
Welch großartigen Eindruck die großartigen Werke hinterlassen hatten, wurde darin deutlich, dass die erbetene Stille diesmal deutlich länger durchgehalten wurde als sonst zuweilen. Aber dann brach doch ein Jubel los, der kaum mehr ein Ende nehmen wollte. Nicht erbeten, aber völlig verdient für alle Beteiligten.



