Literatur

Bücherfest – „Deutsche Hörer!“

Der Schauspieler Burghart Klaußner liest im Kino Museum aus Thomas Manns fulminanten BBC-Reden gegen die Nazis

TÜBINGEN. Er galt ja als „unpolitisch“, sich selbst sogar, und war der klassische Kulturkonservative. Aber nach seiner Emigration in die USA kurz vor Kriegsbeginn schwoll Thomas Manns Hass auf Hitler noch einmal an. Allmonatlich sandte er von Oktober 1940 an über die britische BBC furiose Radioreden auf die deutschen Volksempfänger, die ihn schon als hochpolitischen Widersacher auswiesen, als Deutschlands Armeen noch von Sieg zu Sieg eilten: „Deutsche Hörer!“. Schauspieler Burghart Klaußner gab daraus am frühen Freitagabend im Kino Museum die erste Lesung des Tübinger Bücherfests. Sebastian Guggolz moderierte.

Moderator Sebastian Guggolz (links) hatte die Reden ausgewählt, Burghart Klaußner las sie. Fotos: Martin Bernklau

Noch zu Zeiten des Ersten Weltkrieges hatte Thomas Mann die durchaus reaktionär-patriotischen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ geschrieben, dann aber 1924 den „Zauberberg“ veröffentlicht, worin er in den Figuren Settembrini und Naphta aufklärerisch-demokratische mit kollektivistischen Ideen wetteifern lässt. 1929 war er für die „Buddenbrooks“ (1901 erschienen) mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden und galt fortan als Weltliterat. Während der Weimarer Republik war er zu einem Fürsprecher der Demokratie geworden und hatte sich, behutsam gewissermaßen, politisiert.

Schon vor der Machtergreifung 1933 hatte ihn innerlich – stärker als die geistige und politische Gegnerschaft zur Nazi-Ideologie – ein Widerwille, ja Ekel gegen die Person Adolf Hitlers ergriffen. Die Nazis erkannten ihn schnell als einen Feind, spätestens als er eine im Dichtkunst-Verband geforderte Treueerklärung zum Regime verweigerte und austrat. Sein Weltruhm allerdings ließ sie zögern. Seine Bücher wurden im Mai ’33 (im Gegensatz zu denen von Bruder Heinrich und Sohn Klaus Mann) nicht verbrannt.

Von einer Vortragsreise über Richard Wagner in die Niederlande, nach Belgien und Paris im März 1933 kehrten Thomas Mann und seine Frau – auch auf Drängen der Kinder Klaus und Erika, Golo musste unter anderem die Tagebücher retten – nicht mehr in die Münchner Villa in der Poschingerstraße zurück, die während ihres angehängten Winterurlaubs in der Schweiz zwischenzeitlich von der Gestapo durchsucht und samt Inventar beschlagnahmt worden war.

Das Exil begann in Sanary-sur-Mer an der Côte’d Azur, in Nachbarschaft zu vielen anderen prominenten Emigranten. Nach einem Jahr siedelten die Manns ins schweizerische Küsnacht am Zürichsee um. Hilfsweise, weil die Pässe abgelaufen waren, nahm praktisch die ganze Familie 1936 die tschechische Staatsbürgerschaft an, woraufhin die Nazis die deutsche umgehend entzogen. Es kam es zur ersten von zwei Lesereisen durch Amerika, die zusammen mehr als 40 000 Zuhörer fanden. Er war, so der Moderator, ein „literarischer Weltstar“. Die US-Presse feierte Thomas Mann als „the greatest man of letters“.

Im Februar 1938 ließen sich die Manns endgültig in den USA nieder. „Wo ich bin, ist Deutschland. Ich trage meine deutsche Kultur in mir“, sprach Thomas Mann bei der Ankunft in New York trotzig und selbstbewusst in die Mikrofone und die Journalisten-Blöcke. An der ruhmreichen Universität von Princeton, New Yersey, wo auch Albert Einstein lehrte, trat er die angebotene Gastprofessur an. Danach ging es ins kalifornische Pacific Palisades. Für Sebastian Guggolz war das der letzte Teil einer „handfesten Flucht“.

Thomas Mann beim Einsprechen einer Rede an „Deutsche Hörer!“ in Los Angeles.
Repro: mab

Die BBC hatte auch bei Albert Einstein, Marlene Dietrich, sogar bei Greta Garbo angefragt. Aber auf Vermittlung Erika Manns und ihres Bruders Klaus, die gute Kontakte nach London pflegten, engagierte der britische Rundfunk ihren berühmten Vater vom Oktober 1940 an für monatliche, je achtminütige Radio-Ansprachen an das deutsche Volk. Sie wurden – nettes Detail, über das Sebastian Guggolz berichtete – vom Autor von der sechsten Folge an selber in einem Tonstudio in Los Angeles eingesprochen, auf Schellack gepresst, nach New York geflogen, von telefonisch übertragen, erneut zur Schallplatte aufbereitet und schließlich von London aus gesendet.

Schon längst hatten die Nazis das Abhören von „Feindsendern“ unter Androhung von Haft, KZ und sogar der Todesstrafe strengstens verboten. Klare Bezüge zu den Geschwistern Scholl, Erwähnungen in den Tagebüchern Victor Klemperers und viele später gefundene Zeugnisse aus Briefen und Notizen von Bürgern belegen, dass die Radio-Ansprachen ganz sicher nicht völlig in einer „Black box“ verhallten, so Guggolz.

Sebastian Guggolz erläutert, Burghart Klaußner spricht Thomas Mann Reden gegen die Nazis. Foto: Martin Bernklau

Mit der sechsten, der ersten selbsteingesprochenen Rede Thomas Manns vom März 1941, begann Burghart Klaußner. Sie beschwor als „warnende Stimme eines Freundes“ die Landsleute, dass trotz der rauschenden Siege („Blendwerk“) ihre düsteren Ahnungen wahr würden, dass auch Amerika und fast die ganze Welt schon jetzt mit Hitlers Deutschland im Krieg stünden, das einer „Idee von Gewalt und Niedertracht“ folge. Ein einziges KZ werde die Welt bei einem „Endsieg des Bösen“.

Thomas Mann war außerordentlich gut informiert über das, was in Deutschland vor sich ging; nicht nur durch die in Kalifornien verfügbare internationale Presse, sondern auch durch Bulletins und Geheimdienst-Dossiers, die ihm der befreundete US-Präsident Franklin D. Roosevelt zukommen ließ. Schon im Juni 1942 berichtete er von der Vergasung von 400 deportierten holländischen Juden im KZ Mauthausen und korrigierte die Zahl der Ermordeten später auf das Doppelte

Jene Rede vom Juni 1942 befasste sich auch mit dem Attentat auf Reinhard Heydrich, den Prager Statthalter und Geheimdienstchef Hitlers, dessen Tod Thomas Mann das zwangsläufige Ende eines „Mordknechts und Henkers“ nannte. Auch über die Auslöschung des Dorfes Lidice als Rache und Vergeltung informierte der Dichter die deutschen Hörer.

Früh wusste er anklagend über zahllose Kriegsverbrechen, über Massenmorde und die Vernichtungslager von Majdanek und Auschwitz-Birkenau, über Gaskammern und Krematorien zu berichten. Die Zerstörung seiner Heimatstadt Lübeck durch englische Bomben sah er als gerechte Folge der deutschen Angriffe etwa auf Coventry. Er habe „nichts einzuwenden gegen die Lehre, daß alles bezahlt werden muß“, sprach Thomas Mann in seiner Rede vom Januar ’45 kühl.

Burghart Klaußner. Foto: Martin Bernklau

Burghart Klaußners geschulte Stimme trug sowohl den beschwörenden Ernst als auch die zornigen Ausbrüche ebenso eindringlich wie maßvoll vor. Neben den kulturphilosophischen, historischen und moralischen Betrachtungen – etwa in der „Midas“-Rede vom August 1942 („…das Gold der Vaterlandsliebe in Dreck verwandelt“) und neben Berichten und Warnungen erging sich Thomas Manns Empörung vor allem gegen den „Führer“ zusehends auch in giftigen Schmähungen und fast schon wüsten Beschimpfungen, was laut Sebastian Guggolz sogar der BBC „nicht so gut gefiel“. Tochter Erika sollte ihn um Mäßigung bitten.

Nach der ungewöhnlich kurzen „Hitler-Kultur-Rede“ aus dem Berliner Zeughaus, die den Kriegsherrn nach der Niederlage von Stalingrad depressiv und kleinlaut gemacht habe, kübelte Thomas Mann, der diese entscheidende Kriegswende vom Winter präzise wahrnahm, im März 1943 Hohn und Spott über den verhassten Führer Nazi-Deutschlands und abgrundtief verachteten Kulturbanausen aus.

Zwischen Mai ’44 und Januar ’45 macht Thomas Mann eine Pause. Doch dann folgt eine fulminante Rede, die nicht nur schonungslos die deutschen Verbrechen einschließlich detaillierter Informationen über die Vernichtungslager und den millionenfachen Judenmord anklagt, sondern den „Deutschen Hörern“ auch die unvermeidliche Strafe ankündigt. „Entsetzen, Scham und Reue“ müsse von den Landsleuten kommen, um die „Unsühnbarkeit“ zu mildern.

Diese mahnende Suada Thomas Manns geht allerdings über in ein Angebot, in eine Vision für die Nachkriegszeit, tatsächlich für eine Versöhnung und einen Neubeginn – in der europäischen Völkerfamilie und ihrer Kultur. In der Rede vom Mai ’45, zum Kriegsende, „senkt er das Haupt“ (Thomas Mann spricht in der dritten Person von sich) und ist sich bewusst: „Die Stunde ist groß.“ Er bedauert, dass die Befreieung von außen kommen musste, und erwartet als Reue einen „Fluch gegen die Verderber“, um die „deutsche Würde“ irgendwann wiederherzustellen.

Sebastian Guggolz wollte es damit nicht bewenden lassen und auf die Nachkriegszeit hinweisen. Im geschlagenen Deutschland sei Thomas Mann eine Persona non grata geworden. Einer amerikanischen Umfrage in Bayern zufolge hätten 75 Prozent seine Rückkehr in die besetzten Westzonen abgelehnt. Selbst den Vertretern einer „inneren Emigration“ habe der weltberühmte Dichterfürst mehr oder weniger als Nestbeschmutzer und Vaterlandsverräter gegolten.

Bereitwillig signierten Burghart Klaußner (Mitte) und Sebastian Guggolz nach ihrer Lesung im Kinofoyer noch Bücher. Foto: Martin Bernklau

Langer Beifall verabschiedete den kundigen Moderator und den großartig rezitierenden Schauspieler Burghart Klaußner.

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