Die beiden Geiger Florian Deuter und Mónica Waisman spielten am Sonntagmorgen Große Musik in der Sondelfinger Stephanuskirche
SONDELFINGEN. Die erste der zwei verbliebenen Reutlinger Sommermusik-Matineen lockte am Sonntag mit dem Stichwort „Pocket Mozart“ erneut ein begeisterungsfähiges Publikum in die stimmungsvolle kleine Stephanuskirche, die heuer ihr 750-jähriges Bestehen feiern kann – nur als Bauwerk, denn als Gotteshaus wurde sie 1960 entwidmet. Erst nach der Entdeckung der wertvollen Fresken aus dem 14. Jahrhundert ging sie in kommunalen Besitz über und wird seither als Hochzeitslocation und Konzertstätte verwendet.

Auch die beiden Geiger Florian Deuter und Mónica Waisman freuten sich über das helle, historische Ambiente. Sie sind Exponenten der „historisch informierten Aufführungspraxis“: Florian Deuter selbst hatte lange Jahre bei der „Musica Antiqua Köln“ den Konzertmeisterposten inne, Mónica Waisman ist Mitglied „historischer“ Ensembles.

Beide Künstler musizieren auf Darmsaiten und folgen dem in der Barockzeit fixierten Ideal der „Klangrede“. Die Musik wird dabei nicht geglättet, sondern nach ihrem rhetorischen Gehalt ausdifferenziert; auch Leopold Mozart dürfte seinen Sohn Wolfgang noch in diesem Stil unterrichtet haben. Inwieweit die Musiker um 1800 ihn noch beherzigten, sei dahingestellt. Aus dieser Zeit nämlich stammt das Programm: lauter Bearbeitungen Mozart’scher Werke aus der Hand unbekannter Tonsetzer, die Verleger und Zeitgenossen mit Arrangements bekannter Werke für den Hausgebrauch versorgten („bearbeitet wurde alles“, so Deuter), im vorliegenden Fall für zwei Violinen.
Der Schwerpunkt liegt auf Opernarien. Gleich zwei Melodienfolgen widmen sich der „Zauberflöte“, eine der Oper „Le nozze di Figaro“, dazwischen erklingen Duette aus dem sogenannten „opus 70“, das diverse Mozart’sche Originalwerke in Neu-Arrangements verband. Auch Joseph Haydn blieb nicht verschont: aus einem Original-Klaviertrio und Sätzen aus der Sinfonie Nr. 94 (mit dem Paukenschlag) wurde 1798 ein „Grand Duo“ gestrickt und veröffentlicht. Auch heute noch summen sicher einige die Melodien innerlich mit – die sind so gut gemacht, dass sie noch lange Bestand haben werden.
In der Ausführung widmen sich die beiden Violinisten gleichberechtigt ab. Mal übernimmt die eine, mal der andere die Melodiestimme; die Begleitung ist, wenn sie akkordischen auf einstimmigen Satz komprimiert, zum einen technisch anspruchsvoll, zum andern gewinnt sie ein ganz eigenes, ungewohntes Gewicht, zumal wenn Florian Deuter mit seinem souveränen Spiel die Bewegung vorantreibt.
Wer von den Arien melodischen Schmelz und opernhafte Größe erwartet, wird teilweise enttäuscht. Als „historisch Informierte“ verweigern sich die beiden Geiger der späteren Romantik, sie spitzen lieber das Detail zu, als in Melodik zu schwelgen. So überzeugt eher Graf Almavivas sarkastischer Angriff auf Cherubino als die sehnsüchtige Klage der Gräfin.

Umso stärker gelingen die Bearbeitungen instrumentaler Originale: So der Allegro-Satz aus Mozarts Streichquartett A-Dur KV 575, dem der gestische Zugriff des Duos klare Konturen verleiht und direkt ins Ohr geht, ebenso das komplexe Wechselspiel des 3. Satzes aus der Klaviersonate KV 284. Auch wenn dieses die Stimmen ganz real auseinandertreibt, halten die zwei Musiker ihre historisch informierte Teufelsgeigerei durch und werden mit einem spontanen „Bravo“ bejubelt.

Auch mit der Bearbeitung aus Joseph Haydns Klaviertrio Nr. 18 (aufgegangen in einem „Grand Duo“) beweisen Waisman/Deuter soviel Spielwitz und Gestaltungskraft, dass das Publikum direkt applaudiert. Etwas schwieriger ist das bei der sinfonischen Vorlage aus Haydns Sinfonie Nr. 94, dort vermisst man doch die orchestrale Unterfütterung.
Gar nichts vermissen lässt das abschließende „Duetto op. 70 Nr. 5“ nach Mozarts Klaviersonate KV 310, in dem die beiden Geiger so gleichberechtigt wie temperamentvoll ihrem Können die Zügel schießen lassen und erneut spontanen Beifall ernten. Besonders eindrücklich gelingt das düstere Presto mit seiner dahinjagenden Bewegung, in dem die Stimmen zwischen den Spielern hin und her fliegen.

Lebhaften und lang anhaltenden Applaus gibt es am Ende für eineinhalb Stunden hochkonzentrierte große Musik im Kleinformat, ergänzt durch Mozarts „alla turca“ als hochkarätige Duo-Dreingabe.
