Musik

Reinste Romantik – „Brahms & Friends“

Der Tübinger BachChor machte mit dem Klavierduo Hayashizaki-Hagemann in der Stiftskirche einen wunderbaren Ausflug ins Weltliche.

TÜBINGEN. Der BachChor ist ja eigentlich ein ehrwürdiger und großer Oratorienchor. Am Sonntagabend aber lud Dirigent und Stiftskirchenkantor Ingo Bredenbach zu einem hochromantischen Lieder- und Klavierabend in sein Gotteshaus: „Brahms & Friends“. Am mächtigen Bösendorfer-Flügel: das Klavierduo Shoko Hayashizaki und Michael Hagemann. Die Zuhörer füllten das Mittelschiff einigermaßen gut.

Johannes Brahms war vielen Komponistenkollegen und Musikern, auch weniger bedeutenden, nicht nur ein nobler Förderer, sondern auch ein treuer Freund, allen voran seinem Mentor Robert Schumann und seiner lebenslangen Muse Clara Schumann. Seine Liedkunst ist immer seltener, allenfalls noch solistisch auf Kammermusikpodien zu hören, seit sich kleinere Gesangvereine nicht mehr ganz so frisch-fromm-fröhlich-frei an dieses doch sehr schwierige Genre trauen.

Ingo Bredenbach dirigiert seinen aufmerksamen BachChor (für diesen romantischen Liederabend vielleicht in etwas kleinerer Besetzung als sonst). Foto: Martin Bernklau

Schade ist das schon deshalb, weil viel wunderbare Lyrik, die sowieso großenteils zum literarischen Stiefkind, zur Waise wurde, einen wichtigen Weg der Vermittlung verlor. Ausnahmen bestätigen das. Wer kennte einen Wilhelm Müller noch ohne Schuberts „Winterreise“ oder „Die schöne Müllerin“? Bei diesem Genre kommt es für die Tonsetzer wie für die Sänger auf das an, was sich „Deklamation“ nennt: Wie lassen sich die Worte, der Sinn, die Sprachmelodie und der Rhythmus in Tönen und Linien verdichten, verstärken, verdeutlichen, bereichern? Sehr gut, dass Jutta Heinle im Programmheft einige rein literarische Interpretationen zu den vertonten Gedichten beifügte. Das zeigte die Verwandtschaft.

Ingo Bredenbachs Auswahl war natürlich subjektiv, aber sehr sinnfällig. Seinen BachChor stellte er diesmal nicht frei gemischt auf, sondern so, dass die geteilten Frauenstimmen die mittigen Männerstimmen (auch hier, wie bei vielen Chören: eklatanter Mangel) einrahmten. Das famose Klavierduo Hayashikazi-Hagemann begleitete nicht nur sensibel, sondern steuerte auch Tastenwerke der jüngeren Brahms-Gefährten Robert Fuchs (1847 bis 1927) und Ernst von Dohnányi (1877 bis 1960) bei, dessen Debüt Brahms kurz vor seinem Tod noch empfahl.

Shoko Hayashizaki und Michael Hagemann am Bösendorfer-Flügel. Fotos: Martin Bernklau

Goethe, am Anfang, zum Ende. Mit der Vertonung seines „Warum“ (opus 92 Nr. 4), mit gut verständlichem Text in schönen Bögen gesungen und so orchestral wie dezent begleitet, begann ein erster Brahms-Block. Franz Theodor Kuglers „Sehnsucht“, eine leicht pathetische Liebeserklärung von C.O. Sternau „An die Heimat“ in schwierigen Harmonien gesetzt, der rhythmisch anspruchsvolle „Spätherbst“ von Hermann Allmers sowie neckisch verliebte „Fragen“ nach Georg Friedrich Daumer in schwingendem Dreiertakt folgten.

Dazu passten sieben vierhändige Walzer von Robert Fuchs, entstanden zwischen 1880 und 1910 und von dem japanisch-deutschen Duo sehr agogisch, aber auch ganz fein gespielt. Die subtile Dynamik und Shoko Hayashizakis hinreißendes Jeu perlé in der Oberstimme seien eigens hervorgehoben. Fuchs, vom Leben meist gebeutelt, war ein sehr einflussreicher Theoretiker und Lehrer in Wien (Mahler, Korngold, Sibelius, Strauss, Hugo Wolf), dessen Kompositionen Brahms hoch schätzte.

Die schöne Deklamation, dazu eine hohe rhythmische Genauigkeit mit präzisen Einsätzen fielen auch beim nächsten Brahms-Abschnitt um abendliche, nächtliche und um Liebesthemen auf. Im „Gang zum Liebchen“ nach Josef Wenzig gelang dem Sopran ein imposanter Spitzenton astrein, wenngleich seine Intonation hin und wieder auch ganz leicht matt geriet. Mit Christian Fridrich Hebbel („Abendlied“) und Friedrich Schillers „Der Abend“ fanden sich auch Vertonungen bekannterer Dichternamen, dazu nochmals Kugler („Nächtens“) und Georg Friedrich Daumer mit „O, schöne Nacht“.

Ernst von Dohnányis opus 1, ein Klavierquintett in c-Moll, lobte Johannes Brahms enthusiastisch und lancierte es als Komponisten-Doyen der Wiener Musikwelt. Den dritten Satz, ein Adagio quasi Andante in der Bearbeitung des niederländischen Brahmsfreundes Jan Brandts Buys, spielte das Duo mit klar konturierten Einzelstimmen und wiederum ausgeprägt inniger, aber geschmackssicherer Agogik. Schön der einzeln verklingende Terzton am Schluss.

Der BachChor und das Klavierduo am Bösendorfer. Foto: Martin Bernklau

Je mehr Clara Schumann (1819 bis 1896) gespielt oder gesungen wird, desto klarer zeigt sich die Ebenbürtigkeit mit ihrem Mann. Manchmal wirkt ihre Musik sogar klarer, formvollendeter als der hin und wieder zu freiem Überschwang und wilder Formlosigkeit ausufernde Satz Robert Schumanns. In den 1848 entstandenen Chorsätzen „Abendfeier in Venedig“ und „Gondoliera“(!) nach Emanuel Geibel zeigt sie auch, dass sie in ganz eigenem Ton Atmosphäre zu schaffen versteht – und sich durchaus in komplexere Harmonien hinauswagt. Bei den „milden Tränen“ führte das zu einer ganz seltenen leichten Unsicherheit im Chor, die Ingo Bredenbach schnell einfing.

Robert Schumann kam danach auch noch zum passenden Wort und Ton, mit den hymnischen Strophen Friedrich Rückerts „An die Sterne“. Fein gestaltet in Ritardandi oder Accelerandi und den fein geschwungenen dynamischen Bögen, war doch manchmal in Nuancen zu hören, wie sehr das anspruchsvolle Programm die Stimmen des BachChors angestrengt hatte. Das Klavierduo ließ von Robert Fuchs in erlesenem Ton die 1890 entstandenen „Traumbilder“ folgen.

Als tolles, klangstarkes und kontrastreiches Finale gab der Chor schließlich Goethes musen-mythisches „Zum Schluss“, das Brahms 1875 drucken ließ. Nach angemessener Stille brandete Beifall auf, der den Chor Hebbels „Abendlied“ als Zugabe wiederholen ließ. In seiner Begeisterung über ein wunderbar gelungenes Romantik-Konzert stellte sich der BachChor noch open air auf die Stiftskirchen-Terrasse und gab trotz Regens noch Weiteres zu, auch für die Passanten auf der Neckargasse.

Frenetischer Beifall für den BachChor, Ingo Bredenbach und das Klavierduo. Foto: Martin Bernklau

Kleiner Nachsatz: Das sehr sorgsam, liebevoll und aussagekräftig gestaltete Programmheft war – neben historischen und aktuellen Fotos – mit gemäldehaften Grafiken illustriert, die von der OpenAI-KI „Sora“ geschaffen wurden. Mit Verlaub: Bei aller thematischen Stimmigkeit versank das Ergebnis doch sehr tief im Kitsch.

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