Im Reutlinger Naturtheater gibt der Melchinger Lindenhof sein zum 500. Jahrestag des Aufstands landesweit tourendes Bauernkriegs-Stück „Wenn nicht heut, wann dann!“
REUTLINGEN. Fast wie der Bauernkrieg selber ist „Wenn nicht heut, wann dann!“, das Stück des Theaters Lindenhof, ein landesweites Bühnenereignis zum 500. Jahrestag des militärisch geführten Massenaufstands und des Gemetzels an den bewaffneten Bauernhaufen durch das Landsknechte-Heer des Schwäbischen Bundes und seinen blutrünstig brutalen Führer, den „Bauernjerg“. Die eigentliche Premiere war im Mai in Friedrichshafen, am Donnerstagabend machte die Truppe im Naturtheater Reutlingen Station und wurde auch dort gefeiert.
Ein kleiner Kniff des Lindenhof-Autors Franz Xaver Ott spitzt die Geschichte der ganz Deutschland, auch die Schweiz und das Elsass erfassenden Freiheits-Erhebung auf das Schwäbische zu. Mit Thüringen war es tatsächlich ein Schwerpunkt der Rebellion, die fast zur Revolution wurde. Ott verbindet die kämpferischen Bauernhaufen der Historie mit dem Schwank von den tölpelhaften „Sieben Schwaben“ aus den Märchen der Gebrüder Grimm und bringt so ein humoristisches Element in die Tragödie.

Nicht zum ersten Mal beschäftigt sich die Melchinger Regionalbühne mit dem Bauernkrieg. Das Sommertheater „Jerg Ratgeb, Maler“ über den Künstler („Herrenberger Altar“) und in Pforzheim grausam geräderten oder gevierteilten Bauernführer, 1990 auf dem Ammerhof aufgeführt, gehört zu den Legenden aus der Frühzeit der Lindenhöfler. Auf der Platanenallee widmete sich das historisch und politisch engagierte Volkstheater im Jahr 2014 einem der Vorläufer des Bauernkriegs, dem „Armen Konrad“ aus dem Remstal, der mit dem Tübinger Vertrag 1509 sein wenig erfolgreiches Ende fand.

Das aktuelle Stück stellt szenenhaft drei Ebenen dar: die Bauern selber, zu siebt hinter ihrem Spieß versammelt, die in Memmingen ihre Forderungen als die „Zwölf Artikel der Bauernschaft“ niederschrieben, bevor sie sich in sogenannten Bauernhaufen zum Kampf mit Sensen, Dreschflegeln und ein paar Feuerwaffen formierten; dann die Adligen, Kirchen- und Klosterherren, die Georg, den Truchsessen von Waldburg-Zeil, und seine Söldner mit der Niederschlagung des Aufstandes beauftragen; und schließlich die Denker und Theologen der Reformationszeit von Luther über Melanchton bis zum revolutionären Pastor Thomas Müntzer, die im Hintergrund ihren geistigen Kampf um Recht und Freiheit ausfechten.
Vor allem Martin Luther, als Reformator gerade erst auch von den Landleuten gefeiert, mit seinen Thesen per Flugschriften und von den Kanzeln wie ein Lauffeuer verbreitet, hat sich mit seiner Wendung gegen die Aufständischen – neben seinem fatalen Judenhass – einen weiteren dunklen, ja besonders finsteren Fleck auf seinem Bild zugezogen: Zunächst mit den Bauern sympathisierend, hetzte er (nach einer Mordtat in Weinsberg) hemmungslos mit der Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ gegen die Aufständischen und empfahl, sie zu „zerschmeißen, würgen und stechen“ und totzuschlagen „wie einen tollen Hund“. Man tat es: Mindestens 70.000 Bauern wurden auf den verschiedenen Schlachtfeldern niedergemetzelt, ihre Anführer gefoltert und hingerichtet.

Jede der drei Gruppen – von Regisseur Dieter Nelle teils in Doppelrollen besetzt – hat ihren eigenen Konflikt, Streit und Widerspruch. Bei den Bauern, also auch bei den Sieben Schwaben des Stücks, stehen die Couragierten, Mutigen und Tapferen, teils fanatisch für Menschen- und Freiheitsrechte Entflammten, den Verhandlern (Weingartener Vertrag), Skeptikern und Realisten gegenüber, und ein paar Feiglingen auch noch.
Adel und Klerus haben auch Reformwillige und Privilegienreiter unter sich, Brutale und weniger Gewalttätige, bloße Ausbeuter und gläubige Traditionalisten. Bei den christlichen Denkern stehen die Obrigkeitsgfreunde um Luther und Melanchthon, auch Reutlingens Matthäus Alber, den Neuerern wie Zwingli oder Pfarrer Schappeler und den echten Aufrührern wie Müntzer gegenüber. Seligkeit im Jenseits oder das Paradies auf Erden, das ist hier die Frage im Disput um den wahren christlichen Glauben..
Die geschichtliche Wirklichkeit mag verwirrender gewesen sein. Aber Franz Xaver Otts sorgsam recherchiertes Lehrstück klärt die Fronten sehr übersichtlich, sozusagen brechtisch, vielleicht um den Preis einer fast schematischen Vereinfachung. Er befleißigt sich einer Art stilisierten, heutigen Ohren noch gut verständlichen Luther-Deutschs, rhythmisiert und reimt und fasst die Thesen, Artikel und Argumente griffig zu Liedern Gedichten und Parolen zusammen. Einen besonderen Blick hat das Stück für die Frauen und ihre Rollen, ihre Bedeutung im Geschehen – von der Äbtissin oder Bäurin bis zur Marketenderin und dem Flintenweib. Linda Schleps übrigens war als Erzählerin und Fahnenschwingerin Pfeiferlies souverän für die erkrankte Paulina Pawlik eingesprungen.
Die Musik (Julia Klomfaß) untermalt ganz heutig mit coolem minimalistischen E-Gitarren-Sound und kommt zwischendurch auch mal als Klarinette, oder als Klavierklang aus der Konserve. Sie singen alle ganz gut, manche sogar bühnenreif sonor. Das Bühnenbild von Gesine Mahr ist – zweckmäßigerweise für die zahllosen Spielorte – ganz schlicht aus Holzbrettern zu Scheunen, Burgen, Türen und Toren zusammengenagelt. Ein paar Requisiten noch, Helm und Harnisch, Stuhl und Tisch, das reicht. Bei den Kostümen ließ Katharina Müller ihrer Fantasie freien Lauf, ohne die klare Zuordnung zu umwölken.

Während bei den Theologen eher gedeckt existenzialistisches Schwarz vorherrschte, trieben es Adel und Klerus noch bunter als die Bauern. Abt und Äbtissin etwa leuchteten in samtigem Kardinalsrot um die Wette. Der „Bundschuh“ freilich, schon bei den Vorläufer-Aufständen Symbol der süddeutschen Rebellen, rührte sprachlich vom Binden her.
Mit einem jugendbewegten Kampflied (nach Thomas Felder) im Angesicht der drohenden Niederlage und des Todes versuchte das Bauernkollektiv des Stücks noch einmal, historische Zuversicht zu verbreiten: „Die Enkel fechten’s besser aus!“ Nie mehr solle das einmal angefachte Feuer der Freiheit verlöschen. Spätere Revolutionäre, auch Demagogen, auch Philosophen von Marx und Engels bis hin zu Ernst Bloch, vernahmen den Ruf der Bauern.
Großer Applaus verabschiedete die Truppe in eine regnerische Nacht. Für ein paar der Mimen brandete der Beifall besonders auf: Für Rino Hosennen etwa als den Truchsessen und als Luther, für Berthold Biesinger als stimmgewaltigen „Seehas“ und als Erzherzog oder für die Einspringerin Linda Schleps mit ihrer Regenbogen-Fahne der „Freyheit“.


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