Das “GrauSchumacher” Piano Duo musiziert bei den “Contemporary Concerts” in der Tübinger Westspitze
TÜBINGEN. Es hat sich etwas getan in Tübingen: Mit dem „Saal Eins in der Westspitze“ verfügt die Stadt über einen technisch brauchbaren und klimatisierten Konzertsaal, und mit den „Contemporary Concerts Tübingen“ hat der in Berlin lebende Tübinger Sebastian Solte (Label bastille musique https://bastillemusique.bandcamp.com/) eine Reihe für zeitgenössische Musik etabliert.
Mit „GrauSchumacher“ lockte am Samstagabend nun ein bekanntes Klavierduo, das aus der Region stammt und seit langem über hohes internationales Renommee verfügt; entsprechend voll wird der (locker bestuhlte) „Saal Eins“. Das Programm besteht aus nur zwei Werken: den „Monologen“ für zwei Klaviere von Bernd Alois Zimmermann (1918 bis 1970) aus dem Jahr 1964 und der „Trilogie für zwei Flügel“ von Brigitta Muntendorf (*1982). Als drittes Programm-Element kann man die begehbare Installation „Theater des Nachhalls“ für Mehrkanal-Audio und -Video dazurechnen, die nach dem Konzertende und dem Empfang auf der Dachterrasse besichtigt werden darf.
Zimmermann und Muntendorf vertreten gegensätzliche Stile der sogenannten „Neuen Musik“. Mit den etwa siebzehnminütigen „Monologen“ des ersteren ist sie noch gänzlich „unplugged“, nämlich nur für die Saiten der konventionell gespielten zwei Steinway-Flügel komponiert. Allerdings mit einem sehr hohen Anspruch, das unbeliebte Wort „elitär“ passt hier tatsächlich: Zimmermann hat darin Eigenes und Fremdes als Musik über Musik dicht übereinandergeschichtet; kleine Ausschnitte aus Werken von Bach, Messiaen, Debussy, Beethoven und Mozart werden mit eigenen atonalen Notaten eng verflochten und sind so (abgesehen von den hell ausgeleuchteten Bach’schen Melodien) für Normal-Ohren weitgehend unkenntlich gemacht.
Auch die traditionelle Klavierduo-Aufteilung in primo und secondo ist aufgehoben: Andreas Grau (links) und Götz Schumacher (rechts) agieren als eigenständige Spieler. Schrill, grell und feinsinnig virtuos durchleuchten sie die Informationsdichte der Partitur wie eine Neuschöpfung des Haydn’schen „Chaos“; diese Musik scheint immer wieder neu auf einen Urknall des Klangs zurückzugehen. Die Explosionen sind vorgeschrieben, der Flügel dient als Schlaginstrument. Alles schwingt und erklingt zugleich, GrauSchumacher machen in nahtlosem Zusammenspiel die Kugelgestalt der Zeit hörbar, wie Zimmermann sie propagierte. Rasende Läufe kreuzen sich, Akkorde und Cluster entfalten monumentale Kraft, „traumhaft“ und „möglichst dramatisch“ will der Komponist den Schlussteil haben, und genauso setzt das Duo ihn um bis zum exakten Schlussknall.
Noch weiter weg von den alten Qualitäten des Klavierspiels bewegt sich Brigitta Muntendorfs „Trilogie für zwei Flügel“, indem sie die Flügel (fast) nur noch als Eingabegerät für künstliche Klänge einsetzt und sie mit Computertechnik und Elektronik verbindet, die in diesem Fall durch Sebastian Schottke als Klangregisseur verantwortet wird. Die dafür nötige Umbaupause dauert fast eine halbe Stunde. Die Satzbezeichnungen sind wohl unwichtig, im Programmblatt werden sie nicht angegeben: Key of Presence, Kreis Increase, Key of Absence.
Des weiteren ist diese Trilogie als musiktheatralische Performance konzipiert: Die mit Mikros und Sensoren ausgestatteten Pianisten sind Teil der Partitur, jede Geste löst Lautsprecher-Geräusch aus: Krachen, Knarzen, Vibrationen. Dazu schlagen sie sich an die Brust oder reiben am Sitzpolster; die englischen Satzfetzen wie „something is coming“ sind teils zugespielt, teils selbst artikuliert („press the key“, „strike“). Leider sind sie nur halb zu verstehen. Ums Verstehen geht es hier offenbar nicht, sondern ums Mitschwimmen im Strom der Ereignisse.
Dazu taucht man ein in eine pulsierende Welt der Signale, die – unhörbar fürs menschliche Ohr – so vermutlich in unserer Umgebungsluft schwingen; vielfach geschichtete mysteriöse Rhythmen wie Morsezeichen, dazu ferne Stimmen. Die monotone Enge des Tonumfangs kann Beklemmung auslösen; die Freiheit der Melodie ist abgeschafft.
Auch die traditionelle Aufgabe des Pianisten wird in Frage gestellt: Im zweiten Teil löst er sich von der Tastatur und greift zum Mini-Keyboard. Steht das für den Weg der zeitgenössischen Musikkultur?
Im dritten Teil werden poetische Sätze und Liedgesang eingeblendet („hin zu einer anderen Flamme, in der nichts brennt“), leider wird beides gnadenlos übertönt . Gelten Wort und Gesang nur als akustische Zutat? Wird hier ihr Untergang angedeutet? Am Ende steigert sich der Kampf zwischen Live-Spiel und künstlichem Zu-Spiel zu ekstatischem Klimpern, Klicken und Klackern, bis am Ende nur noch ein Summen aus der Box zu vernehmen ist. – Stille, dann anhaltender Applaus für Grau, Schumacher und für Schottke.
Fotos: Susanne Eckstein