Website-Icon Cul Tu Re

Tonne – Kreislers blaue Lola

Im Tonnekeller hatte Chrysi Taoussanis, den Pianisten Miaciej Szyrner an ihrer Seite, mit Georg Kreislers Musical-Solo „Heute Abend: Lola Blau“ Premiere

REUTLINGEN. „Taubenvergiften im Park“ hat allen großen bösen Spaß gemacht. Ein makabres Wienerlied. Aber vielleicht hat es auch den Blick etwas verengt auf den ganzen Künstler Georg Kreisler, der mehr war als der Parade-Wiener mit so viel Schmäh. Zumal er Wien als Jude in Jugendjahren verlassen musste, Amerikaner wurde und Österreich bis ans Lebensende hasste. Die Geschichte seiner „Lola Blau“ ist seine Geschichte. Enrico Urbanek hat sie für die Tonne inszeniert und mit einer furiosen Chrysi Taoussanis und dem Pianisten Maciej Szyrner am Donnerstagabend auf die Bühne gebracht. Der Tonnekeller war praktisch ausverkauft.

Im Scheinwerferlicht des Showbiz, mal rot, mal blau: Chrysi Taoussanis als Georg Kreislers „Lola Blau“.
Foto: Martin Bernklau

Das kleine schwarze Pfeiffer-Klavier, das Maciej Szyrner an diesem Premierenabend so großartig bedient, ist kein Bechstein- oder Bösendorfer-Flügel, kein Steinway. Aber er bringt das Instrument nicht nur zum Klingen. Er bringt es zum Sprechen. So ähnlich ist das auch mit der Singstimme von Chrysi Taoussanis. Vom „Material“ her, wie die Sänger sagen, eher bescheiden, auch wenn Gesangsprofessorin Ulrike Härter sie gecoacht hat wie die „Comedian Harmonists“ der Tonne. Aber was die Schauspielerin draus macht in Kreislers Chansons, das ist großartig. Sie gibt ihren Tönen Kraft und Kontur für diese unvergleichlichen Texte.

Georg Kreisler (1922 bis 2011) war nicht nur von den Nazis vertrieben worden. Sein Vater, ein wohlhabender Rechtsanwalt, hatte unter Verlust des gesamten Vermögens im Jahr 1938 noch rechtzeitig die Flucht der Familie nach Amerika organisieren können. Nach seiner Rückkehr nach Europa hat man den Chansonnier, Komponisten, Dichter und Pianisten gecancelt und behindert, wo es nur ging. Bis zu seinem Tod. Bis heute eigentlich. Man hat zwar seinen schwarzen Humor gefeiert, den Schmäh und diese melancholische Wiener Nekrophilie, aber eigentlich blieb er der bitterböse Jude. Dabei ist seine Sprache, mehr noch als die Musik, einzigartig. Zu diesem Gefühl für Rhythmus, Klang und Reim, den stimmigen Metaphern, für diese messerscharfe Präzision und diesen Witz fallen einem nur höchste Vergleiche ein: Kurt Tucholsky etwa, oder Wilhelm Busch. Aber der war notorischer Antisemit.

Das „Musical für eine Schauspielerin“ beginnt und endet mit Lolas Wiener Vermieterin Schmidt. Sie ist nach dem Krieg geblieben, was sie vor dem Krieg war: hinter ihrer verlogenen Freundlichkeit eine geldgierige und gewissensfreie Judenhasserin. Sie schmeißt Lola Blau raus, eine Varieté-Künstlerin und Chansonnière. Auch das Engagement in Linz, über das sie sich so gefreut hatte, wird von jetzt auf gleich storniert vom Theaterdirektor Brandtner, den es gleichfalls nach dem Krieg wieder gibt: „Mit freundlichen Grüßen, Heil Hitler!“. Ihren Geliebten und Kollegen Leo, der als Jude auch erst mal in die Schweiz auszuweichen versucht, verliert sie für Jahrzehnte aus den Augen. Aber sie behält ein Foto und hütet es wie einen Schatz.

Da muss sie sich aus Verzweiflung besaufen: Chrisy Taoussanis als „Lola Blau“. Foto: Martin Bernklau

Immer wieder kommen Briefe, Telegramme und Anrufe, die dem Leben der Lola Blau neue Wendungen geben. Am Rande: Mit welcher grandios realistischen Genauigkeit Chrysi Taoussanis diese Telefonate wiedergibt, allein das ist von allererster schauspielerischer Güte. Mia Cabraja hat ihr eine tolle Choreografie skizziert. Wunderschöne wechselnde Kostüme hat Sibylle Schulze entworfen, Kathrin Röhm ihr geschneidert. Quer durch vier opulente Bilderrahmen lässt die Casa Magica von Sabine Weißinger und Friedrich Förster Videos flimmern, die Verortung bringen – schlicht, aber bildstark.

Im Dirndl zum Erfolg in Las Vegas. Foto: Martin Bernklau

Lola muss emigrieren. Schon auf dem Schiff nach New York feiert sie kleine Erfolge als Entertainerin für die Erste Klasse an Bord. Auf Englisch singt sie den jiddischen Klassiker „Bei mir biste scheen“. Sogar die armen Leute vom Zwischendeck bitten sie um einen kleinen Auftritt. In New York, dann in Las Vegas macht sie richtig Karriere als Artist from Vienna, im Dirndl: „Sex is a wonderful habit“, heißt ein Song. Ihren Leo allerdings hat sie nicht vergessen, versichert sie singend. Doch die Geschäftemacher des Showbiz dort sind auch nur aalglatt und eiskalt. Lola kann sich nur noch besaufen.

Miaciej Szyrner begleitete Lola nicht nur mit sprechendem, rhetorischem Spiel, sondern stand hin und wieder auch als Ansprechsprechpartner zur Verfügung. Und er konnte bei Songs über Mozart-Originalen zeigen, über was für eine fantastische Geläufigkeit er auf dem klassischen Klavier verfügt. Chrysie Taourannis spielte ihre Solistenrolle in jedem Augenblick szenisch aus. Manchmal ging sie ins Publikum, bot mal ihren Zobelschal feil oder brüllte in ihrer Verzweiflung einen (ausgesuchten) Zuschauer an, er solle nicht so dreckig lachen.

Der wiedergefundene Geliebte, der irgendwann mit Zwischenstation Dachau in London gelandet war, verspätet sich zum Treffen im Wiener „Kaiserschmarrn“, weil ihn irgendein ewiger Antisemit angerempelt, als „Saujuden“ beschimpft und in eine Rangelei verwickelt hatte. Die Bezirkspolizei setzte ihn kurz fest. Natürlich ihn. Sie erwartet ihn mit zarter Ängstlichkeit. Lolas letztes, leises Wort: „Leo?“

Eine ganz wunderbare, melancholisch-musikalische Inszenierung mit den fantastischen Hauptakteuren Chrysi Taoussanis und Miaciej Szyrner. Sie und danach das ganze Team wurden zu Recht lang gefeiert.

Titelfoto: Beate Armbruster/Tonne

Großer Beifall für eine tolle Inszenierung im Tonnekeller.
Foto: Martin Bernklau

Die mobile Version verlassen