Am Dienstagabend trat das Ensemble „Profive“ Süddeutsche Bläsersolisten mit Friedemann Rieger im 50. Reutlinger Kammermusikzyklus auf. Der kleine Saal der Stadthalle war voll besetzt.
REUTLINGEN. Macht sich so der Niedergang der Musikkultur bemerkbar? Der künstlerische Leiter der Konzertreihe musiziert selbst (das kennt man mittlerweile), die Gesamt-Vortragsdauer beschränkt sich auf 50 Minuten bei 30 Minuten Pause, und es treten nicht junge Künstler aufs Podium, sondern deren altgediente Professoren.
In diesem Fall sind es Stefan Albers (Flöte) von der Hochschule für Musik Würzburg, Ralf-Jörn Köster (Oboe), Honorarprofessor in Nürnberg; Manfred Lindner, (Klarinette), Professor in Essen und Würzburg; Christoph Eß (Horn), erster Stipendiat der Reutlinger Christel-Guthörle-Stiftung, sowie Albrecht Holder (Fagott, von hier), beide mit einer Professur in Würzburg. Ergänzt wird ihr Fünf-Professoren-Bläserensemble „Profive“ beim Poulenc-Sextett durch den künstlerischen Leiter des Kammermusikzyklus‘ Friedemann Rieger am Flügel. Von der Profive-Besetzung, die 2007 in der Listhalle auftrat, sind nur Lindner und Holder geblieben.
Ihr Programm ist französisch. Bläsermusik wird in Frankreich seit der Revolution und der Gründung des Pariser Conservatoire in besonderem Maße gepflegt, während in Süddeutschland der Ausbildungsschwerpunkt allzu lang auf Gesang, Violine und Klavier lag. Einer der großen Förderer der französischen Bläsermusik, Paul Taffanel, kam mit seinem Bläserquintett g-Moll von 1878 im zweiten Teil zu Wort; den Anfang machten zwei „Revoluzzer“ der Zeit um 1930: Jacques Ibert und Francis Poulenc. Sie stellten ihre individuell-legere Kompositionsweise ausdrücklich gegen die ihrer Vorgänger der romantischen und impressionistischen Richtung.
Bei Jacques Iberts „Trois pièces brèves“ (drei kurzen Stücken) für Bläserquintett nehmen neckische Eckteile getragene Kantilenen in die Mitte, während Francis Poulenc sein Sextett für Klavier und Bläserquintett zu einem ebenfalls dreiteiligen, dabei fast orchestralen Großwerk ausgebaut hat. Und dies als bunten Jahrmarkt der Stile, Floskeln und Zitate in schräger Harmonik, mal ironisch und schrill, mal gefühlvoll, gestützt und verbunden durch einen brillanten Klavierpart.
All dies wird sehr gekonnt umgesetzt. Wenn sich Instrumental-Koryphäen wie die Profive-Professoren zum Ensemble zusammenfinden, darf man annehmen, dass sie alles beherrschen – präzise Wiedergabe, Spieltechnik und Stil. Sie müssen nur noch im Zusammenspiel harmonieren, was hier in erfreulicher Weise der Fall ist.
Vermissen könnte man allenfalls das Erarbeiten einer gemeinsamen Interpretation, wie das jüngere Ensembles meist tun. Hier nun genießt man eine flotte, detailgenaue und klangschöne Darbietung, die an der Oberfläche bleibt (bleiben muss?) und viele Zuhörer kaum berührt. Damit erklärt sich auch der eher matte Applaus nach dem ersten Teil.
Im zweiten Teil scheinen sich die Bläser eher zu Hause zu fühlen: In Taffanels g-Moll-Quintett genießen sie die schwelgerischen Solo-Kantilenen und verleihen dem Werk spätromantische Leidenschaftlichkeit. Eine besondere Herausforderung bietet der dritte Satz, ein Saltarello: Hier wirbeln die Figuren im Wechsel der Farben über satten Bässen, höchste Präzision und Konzentration bringt das gutgelaunt aufspielende Ensemble sicher ins Ziel.
Um 21 Uhr 20 darf noch nicht Schluss sein. Zwei Dreingaben verlängern das allzu kurze Programm: eine Bläserbearbeitung von Debussys „Le Petit Nègre“ und das Finalrondo aus Beethovens Es-Dur-Quintett op. 16 (Rieger: „Germany last“), das eigentlich einen Platz im offiziellen Programm verdient hätte und vom Publikum mit Jubel quittiert wird.