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Reutlinger Zyklus – Mit Maß und Kraft

Das Vogler Quartett und der Pianist Eugène Mursky eröffnen im kleinen Saal der Stadthalle den Reutlinger Kammermusikzyklus

REUTLINGEN. Es war reine Romantik, aber es war auch eine Reise in die unterschiedlichsten Regionen dieser Epoche: Dvořák, Schumann, Grieg. Das Vogler Quartett, seit staunenswerten 40 Jahren in unveränderter Besetzung, eröffnete am Mittwochabend im kleinen, nicht gerade überfüllten Saal der Reutlinger Stadthalle die Saison des Kammermusikzyklus zusammen mit dem aus Usbekistan stammenden Pianisten Eugène Mursky.

Antonín Dvořáks Karriere gilt als Erfolgsgeschichte, wenngleich die Anfänge des Gastwirtssohns aus der tschechischen Provinz mühevoll waren. Frei von Leid war auch sein Leben (1841 bis 1904) nicht. Die zunächst 1865 entstandenen „Zypressen“ haben eine etwas unebene Werkgeschichte. Es waren 18 frühe Liebeslieder, aus denen er 22 Jahre später einen zwölfteilige Zyklus von Bearbeitungen für Streichquartett veröffentlichte. Das Vogler Quartett hatte die ersten drei der zauberhaften Stücke, dazu die Nr. 11 ausgewählt.

Sicher zur Freude von Tim Vogler noch etwas primgeigenlastig, durfte darin doch auch die Bratsche (Stefan Fehlandt) sehr eigenständig heraus- und hervortreten. Bis hin zum ganz einheitlichen, engen Vibrato aus dem Handgelenk und der markant genauen Bogenführung sind sich die vier Musiker in der Spielweise doch sehr ähnlich geworden – wobei Frank Reinecke als zweiter Geiger und Cellist Stephan Forck eher eine strukturgebende als eine expressiv solistische Rolle bevorzugen.

Dass Dvořák so an diesen Liedern hing, dürfte mit großen und zarten Gefühlen der Jugend zu tun haben, aber auch damit, dass darin schon seine ganzen Prägungen und Neigungen zusammengefasst sind: der unerschöpfliche Quell an volksliedhaften Melodien und eine aus böhmisch ländlichen Tänzen gespeiste Bewegtheit. Genau diese oft gegensätzlichen Grundlagen versuchten die Musiker bis hin zur strahlend schmelzenden Kantilene und zur robusten Motorik als Kontraste zuzuspitzen und wieder zu vereinigen. Das gelang ihnen eindrucksvoll, bis hin zum sanften Schlusstupfer.

Bei Robert Schumanns Musik, der Nietzsche, schon etwas boshaft, statt europäischer Größe deutschtümelnde „Trunkenboldigkeit des Gefühls“ zuschrieb, sind stets auch die Bedingungen seiner labilen seelischen Gesundheit zu berücksichtigen. Von manisch-depressiver Neigung über syphilitische Symptome bis hin zu seiner Trunksucht reichen da die Spekulationen. Das Klavierquintett Es-Dur opus 44 ist zwar auch, nach Schuberts solitärem „Forellenquintett“, ein prägendes Pionierwerk für die Gattung, ein nachhaltiges Vorbild.

Es ist aber auch ein schlagendes Beispiel für die Schaffenskraft Schumanns, die sich oft exzessiv zu Überschwang, ja manischer Euphorie verdichtete. Laut Gattin Clara Schumann, der er das Werk dann schließlich statt einer Sachsen-Weimaraner Großherzogin widmete, soll Robert Schumann (1810 bis 1856) die vier Sätze im September 1844 im Lauf von nur fünf Tagen fix und fertig für die spätere Reinschrift skizziert haben.

Der energiegeladene Kopfsatz („Allegro brillante“) strotzt – bis in die robusten Unisoni, von den vier Musikern sauber und sehr genau abgestimmt – von unbändiger Kraft. Eugène Mursky fügte sich als Klaviersolist mit seinem solid klaren Anschlag eher in die Disziplin eines kollektiven Klangs ein, als dass er mit virtuoser Expressivität in den Vordergrund drängte. Es gibt auch viele glanzvollere Klavierparts von Schumann als diesen.

Ein hochkonzentrierter Eugène Mursky am Steinway. Fotos: Martin Bernklau

Der Trauermarsch mit seinen flächig lyrischen und stürmischen Intermezzi darf nicht nur des Themas wegen als Herz des Werkes gelten und ist satztechnisch wie thematisch-motivisch vielleicht am feinsten gearbeitet. Gerade die Skalen unisono im Scherzo zeigten die präzise Abstimmung im Quartett und der Streicher mit dem Pianisten. Viele Fugati auch im Finale, das in einem breiteren, heroischen Rhythmus anhebt und in den auftrumpfenden Sextsprüngen gestisch seinen Ton findet. Ein wenig rhapsodisch sprunghaft, manchmal rondohaft in seinen Wechseln und Kontrasten, wirken die Steigerungen doch etwas spontan und willkürlich bis zur enggeführten und fugierten Coda. Dargeboten war das aber mit höchster Disziplin und Präzision und fand auch wegen der Ausdruckskraft langen Beifall.

Langer Beifall für die Interpretation von Schumanns Klavierquintett Es-Dur. Foto: Martin Bernklau

Der Diplomatensohn Edvard Grieg (1843 bis 1907), noch mehr als Dvořák seinen volkstümlichen Wurzeln verbunden, war eine Art norwegischer Chauvinist, der dem kultiviert-eleganten Mendelsohn sogar einen „verweichlichten Skandinavismus“ vorwarf, gegen den es mit Begeisterung auf neuem Weg voranzugehen gelte. Diesen hohen nordischen Ton mit seiner subdominantisch und von Leerquinten gefärbten Harmonik hat er in seinem Streichquartett g-Moll opus 27 tatsächlich kultiviert und getroffen.

Ein Liedthema auf den „Spielmann“, nach Versen von Henrik Ibsen, gab dafür ein Motto, fast ein Leitmotiv ab, das sich gewandelt durch alle Sätze zieht und im Finale wieder aufgenommen wird. Griegs Gestus ist mehr als nur kraftvoll. Im Kopfsatz wirkt er nach der langsamen, aber geradezu herrischen Einleitung nicht selten wild, nervös motorisch, trotz der lyrischen Intermezzi zuweilen sogar grob, was das Vogler Quartett sehr getreulich und genau wiedergab.

Selbst die Romanze des zweiten Satzes, eher ein Volks- als ein Liebeslied, fällt vom Andantino schnell in ein temperamentvoll stürmendes Allegro agitato. Sehr schön in der Hektik des Satzes die präzisen Generalpausen, ein charakteristisches Markato, das Innehalten und auch die kleinen Motive als Echos bis hin zum Schluss in schwebendem Flageolett. Spätestens im Scherzo und schließlich im Finale wird deutlich, das Edvard Grieg ein einziges bevorzugtes Bauprinzip abwandelt: den Kontrast von langsam und schnell.

Trotz aller Einfälle und trotz der Bezeichnung als Presto saltarello (nach dem furios sprunghaften italienischen Volkstanz) hat das alles etwas Gleichförmiges, vielleicht sogar Ermüdendes, wenn Grieg fast schematisch Passage an Passage reiht. Es fehlt so etwas wie eine weite Linie, was nicht am stellenweise fast schon strengen kanonischen Satz liegt. Nach dem einheitlichen, akkordlosen Schlusston unisono kam auch kein richtig überschwänglicher Beifall auf. Jedenfalls nicht sofort.

Langer Beifall nach langem Anlauf für das Vogler Quartett. Foto: Martin Bernklau

Doch das Publikum wollte die Leistung des Quartett durchaus anerkennen und steigerte seinen Applaus. Belohnt wurde es mit dem Quartettsatz (dem zweiten aus der Nr. 2) eines Mannes, der seine immense Begabung nach frühen und großen europäischen Erfolgen als „Wunderkind“ und moderner Klassizist vor allem in den Dienst von Hollywood gestellt hat – gegen gutes Geld natürlich. Erich Wolfgang Korngold (1897 bis 1957), jüdischer Emigrant aus dem mährischen Brünn, wurde als einer der berühmtesten Filmkomponisten sogar mit zwei Oscars geehrt.

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