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Orgelsommer RT – Ebenmaß, Pracht und Virtuosität

Der Reutlinger Orgelsommer 2025 beginnt mit Andreas Dorfner, dem Hauskantor und Organisten in St. Wolfgang

REUTLINGEN. Dem Familienkonzert als traditionellem Vorspann des Reutlinger Orgelsommers in der Marienkirche folgte am Samstag eine Orgeldarbietung unter dem Motto „Vox angeli“ – an das Register „Vox humana“ angelehnt – in der katholischen Kirche St. Wolfgang. Es musizierte der dortige Organist und Kantor Andreas Dorfner.

Die Späth-Orgel (2007) vor der West-Rosette der katholischen St. Wolfgangkirche in Reutlingen. Fotos: Susanne Eckstein

Das Publikum weiß, dass er an „seiner“ im Jahr 2007 eingebauten Späth-Orgel Hochkarätiges bietet, und kommt gern. Eine Besonderheit ist das zugleich instruktive und gut lesbare Programmheft: Dorfner erläutert darin seinen gedanklichen „roten Faden“, samt Notenbeispielen. Nur selten sieht man so viele Zuhörer ins Programmheft vertieft, hier kann man das Geschriebene tatsächlich hörend nachvollziehen.

Das Thema „Engel“ ist in unterschiedlicher Weise mit den dargebotenen Orgelwerken verknüpft: Jean Langlais‘ (1907 bis 1991) „Angélus“ aus seinen „Huit Chants de Bretagne“ erinnert an das dörfliche Angelus-Geläut in Langlais‘ Heimat und verschränkt die drei Glockenschläge mit einem bretonischen Marienlied. Ruhig und gleichmäßig steigen die drei Grundtöne ab, mit sicherer Hand lässt Dorfner die Klangfarben glitzern und leuchten und sich in kontemplativer Fülle verdichten.

Andreas Dorfner, Kantor von St. Wolfgang. Foto: Programm 2015

Von Präludium und Fuge D-Dur BWV 532 von Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750) ist zwar kein expliziter inhaltlicher Bezug bekannt, doch die Deutung des Präludiums als Nacherzählung der Himmelfahrt Christi wirkt überzeugend: Das aufsteigende Thema ähnelt dem Choral „Gen Himmel aufgefahren ist“, einer markanten Pause folgt der „königlich“ erhöhte Rhythmus der französischen Ouvertüre, eine entfernte Tonart könnte die Verwunderung der Zuschauer andeuten.

Die strahlende Rückkehr zur Grundtonart könnte die Wiederkehr Christi meinen, und Bachs kühne Modulationen das Erscheinen einer neuen Welt. Dorfner entfaltet das Geschehen mit Ebenmaß und Virtuosität in einem zugleich prächtigen und transparenten Klangbild, gestützt auf einen markanten Pedalbass; in gleich virtuoser und zugleich klarer Weise die motorisch mitreißende Fuge.

„Le jardin suspendu“ von Jehan Alain (1911 bis 1940) hat zwar auf den ersten Blick nichts mit Engeln zu tun, sondern mit dem Traum einer fernen Gegenwelt, doch klanglich entführt sie in himmlische Regionen: Hier kommt das Orgelregister namens „vox coelestis“ zum Einsatz, die Himmelsstimme, die mit ihrem vibrierenden Schwebungsklang eine solch überirdische Süße verströmt, dass man das Stück in Dorfners klangsinnlichem Spiel mit exquisiten Registrierungen durchaus als Engelsmusik hören kann.

Was hat Mozart mit Engeln zu tun? Hier zitiert Dorfner Karl Barth: „Zum Lobe Gottes spielen die Engel Bach, wenn sie aber unter sich sind, dann spielen sie Mozart.“ In diesem Fall das Andante in F-Dur für eine Walze in eine kleine Orgel KV 616 (für eine Stiftwalze, Lochkarten waren 1791 noch unbekannt). Es wirkt so überirdisch leicht wie Alains „hängende Gärten“, doch heiter, direkt und diesseitig in schlicht flötender Labial-Registrierung; der Organist hat hörbar Spaß an der zierlichen Ornamentik.

Einen größeren Gegensatz dazu kann man sich kaum denken als Orgelmusik von Max Reger (1873 bis 1916). Der „Dankpsalm“ aus op. 145 verbindet und überhöht die Choräle „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ und „Lobe den Herren“ in vielstimmiger Opulenz, in der man – wenn man will – himmlische Chöre hören kann. Dorfner unterstreicht dies durch den Einsatz der „vox coelestis“: Das Zitat von „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ lässt er genüsslich vibrieren und führt die Reger’schen Klangmassen mit sicherer Hand zu überwältigender Prachtentfaltung.

Wer kennt Edwin H. Lemare (1865 bis 1934)? Als erfolgreicher Konzertorganist im anglo-amerikanischen Raum spielte er die sinfonischen Orgeln seiner Zeit und komponierte Stücke für sie – ob Kitsch oder Kunst, sei dahingestellt. Seinen „Chant séraphique“ adelt Andreas Dorfner durch eine exquisite Registrierung in wogenden Pastellfarben und mittels schwebender Bewegung.

Mit dem abschließenden Werk würdigt Dorfner einen lebenden Komponisten: Robert M. Helmschrott (*1938) und dessen „Michaelismen“, eine Variationenfolge über das katholische St. Michaelslied. Diese zieht alle Register der Orgelkunst in moderner Klangsprache: handfeste Dissonanzen, rasche Figurationen und beinah pianistische Staccato-Akkorde prägen das Stück, das den Orgelsommer-Abend mit einem machtvollen Finale beendet.

Von dem lebhaft applaudierenden Publikum verabschiedet sich Andreas Dorfner mit der Bach’schen Choralbearbeitung von „Wachet auf, ruft uns die Stimme“.

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