Zum Beginn der musica-nova-Reihe widmet sich das Basler Dini Mueter Trio in den Reutlinger Wandel-Hallen dem Punk
REUTLINGEN. Ja, Neue Musik ist harte Arbeit. Sie traten am Freitagabend in Blaumännern vor ihr musica-nova-Publikum im Reutlinger Kunstmuseum konkret, das zum Saisonstart noch etwas klein geblieben war. Das Dini Mueter Trio – was übrigens „Deine Mutter“ bedeutet – aus Basel nahm sich in apart wechselhafter Besetzung mit Saxophonen, Klarinetten und dreierlei Tasteninstrumenten den Punk vor.
Der Spiritus Rector dieses im Jahr 2018 an der Basler Musikhochschule entstandenen Ensembles war auch zugegen. Aber Matthias Sebastian Krügers Stück „klopfen IIb“ (2021/24) musste wegen einer Schulterverletzung, die der Präparation des Flügels mit elf „Maqianos“ entgegenstand, durch ein Werk der/s Komponistin/en Vi Weinmann mit dem Titel „JG“ ersetzt werden. Auch die/der 1994 geborene Musiker/in – welch geschlechts-bürokratischer Sprachunfug! Hier mal mit allem Widerwillen respekthalber dokumentiert – gehört zu einem höchst ertragreichen Netzwerk Neuer Musik, das in Basel sein Kraftzentrum hat. Die Motorik passte zum Motto der „Punkbox“. Die beiden Blasinstrumente passten klanglich, auch in anderen Lagen und verfremdeten Blastechniken, ungemein gut zueinander.
In dieser Besetzung spielen Saxophonist Luis Homedes Lopez, Sergi Bayarri Sancho (Klarinette) und der Pianist Carlos E. López Ruiz, der neben dem Flügel auch ein Keyboard und einen Synthesizer bediente (der sich auf Sechzehnteltöne tunen ließ), seit 2024 zusammen, die enge Kooperation mit Krüger datiert von 2021.
Das Programm durchzogen vier Klavierstücke „Voices and Piano“, von denen Peter Aiblinger „für Klavier und Zuspiel“ seit 1998 bis zu seinem frühen Tod in diesem Jahr ganze 62 komponiert hatte. Da werden Sprachaufnahmen mehr oder minder berühmter Menschen mit teils hart angeschlagenen Klavierklängen kontrapunktiert, was einen spannenden Dialog in ganz unterschiedlichen Färbungen und und Emotionsebenen hervorbringt. Der bekannteste Name war der von Marina Abramovic, der weltbekannten Aktionskünstlerin. Trotz wilder Motorik und kaum fassbaren Rhythmen wirkte das Spiel des Pianisten López Ruiz kein bisschen improvisiert, sondern sehr präzise abgemessen.
Das galt für das ganze Ensemble und alle Stücke, die ausnahmslos in komplexen Partituren oder Stimmen notiert waren – kein Platz für ad libitum. „Fool me into Power“ hieß das nächste, geschaffen von dem 1977 geborenen Leonardo Idrobo Acre in einer Klangsprache, die weite Räume für den Synthesizer öffnet und die traditionellen Instrumente Altsaxophon und Klarinette zwar bis zum Hauchen oder Fingerklopfen oder Glissandi verfremdet, aber in sprachbetonten Dialogen führt, und zwar sehr exakt. Schön, die ruppig kurze Coda.
„Blink once for maybe“ hieß das von zwei Saxophonen in Girlanden sphärisch verschlungene Stück von Marisa Algari (*1999), erst heuer komponiert, mit dem es in die Pause ging. Während sich einige Zuhörer in den Räumen der aktuellen Ausstellung („Falscher Marmor…“) ergingen, hörten die meisten Matthias Sebastian Krüger aufmerksam zu, der seine mikrotonalen Techniken erläuterte. Zum einen sind das jene „Maqianos“, Magnete, mit denen die Saiten eines klassischen Flügels getunt werden können; zum anderen lassen sich auch Sythesizer-Softwares verwenden, mit denen das Keyboard von 88 Tasten auf den Tonumfang einer Oktav geschrumpft werden kann.
Das allerdings tut Ohren körperlich weh, die ein Leben lang auf reine Töne trainiert worden sind, und die schon mit Viertelstönen indischer oder arabischer Musik ihre schmerzhaften Schwierigkeiten haben. Das allerding passt zum Punk, dessen aggressive Motorik auch in den Werken von Michael Pelzel (*1978) „Colours of Transition“, einer Uraufführung und von Bernhard Gander, Jahrgang 1969, durchhörbar war: „Kneel till Doom“ hieß diese „Antiphon für Bassklarinette, Sopransaxophon und Keyboard“, mit denen das Punk-Konzert andererArt in großem Beifall endete.
Gut möglich, dass die Ohren durch diese mikrotonalen Verschiebungen schon ein wenig betäubt waren – oder befreit von wohltemperierter Halbtönigkeit. Was die Musiker aber spielten, wirkte durchweg genau so gewollt, exakt kalkuliert und präzise einstudiert. Es war auch ein bisschen schwierig, die dankenswerterweise mitgelieferten wortreichen Erläuterungen mit dem Gehörten in Deckung zu bringen. Gesellschaftlich-politische Einordnungen des Punk wären darüber hinaus nun nicht nötig gewesen. Was aber hängen blieb bei dieser erklärten, weil erklärungsbedürftigen Neuen Musik war: Formwille, Gestaltungswille und Ausdruckswille.
