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Motette – 300 Jahre Johannespassion

Zum Jubiläum führt Ingo Bredenbach das Schlüsselwerk Bachs mit dem „ensemble vocale piccolo“ und dem „Ensemble il capriccio“ in der Tübinger Stiftskirche auf

TÜBINGEN. Am Vorabend war Johann Sebastian Bachs Johannespassion für diese „besondere doppelte Motette“ zum 300. Jahrestag der Uraufführung zu Leipzig ganz solistisch besetzt erklungen. Mit dem Projektorchester „ensemble il capriccio“ um Dietlind Mayer und seinem eigenen „Ensemble vocale piccolo“ führte Ingo Bredenbach das Schlüsselwerk Bachs am Sonntagabend in einer gut besetzten Tübinger Stiftskirche in kammermusikalischer Stärke auf und hatte dafür zudem exquisite Vokalsolisten engagiert.

Mit jener Aufführung seiner Johannespassion am 7. April 1724 trat Johann Sebastian Bach nach den Jahren als fürstlicher Hofmusicus zu Köthen seine Stelle als Leipziger Thomaskantor an. Das Werk sollte ihn bis ins Jahr vor seinem Tod begleiten. Es ist in vier Fassungen überliefert.

Das Besondere an dem Stuttgarter Ensemble il capriccio um die Geigerin Dietlind Mayer (die auch, in der Bassarie „Betrachte, meine Seel“, die zweite Viola d’amore spielte) ist das Musizieren mit historischen Instrumenten auf undogmatische Art: die Streicher mit weicheren, empfindlicheren Darmsaiten, aber ohne barocke Rundbögen, eine Gambe dabei, hölzerne Traversflöten mit ihrem warmen und weichen Klang, Fagott und Oboen alter Bauweise, dazu Cembalo und Truhenorgel.

Ingo Bredenbach. Fotos: Martin Bernklau

Dieses Instrumentarium und der kleine und flexible, dabei sehr stimmstarke Chor sowie markante Vokalsolisten prägte auch eine herausragende Aufführung, die Ingo Bredenbachs besondere Auffassungen präzise und mit großer Intensität umsetzten. An den Chorälen und den sogenannten Turbae-Chören, in denen sich auf opernhaft dramatische Weise das Volk der biblischen Passionsgeschichte artikuliert, lässt sich das skizzieren: Sie hatten keinen einheitlichen Gestus, sondern je nach Textaussage einen je eigenen Charakter, in dichtem Melos, geschmeidigen Bögen und geschmackvoll sinnfälliger, nie übertriebener Sprachdeklamation phrasiert, die aber auch eindrückliche Pausen zu setzen und auszukosten verstand.

Der hochkonzerntrierte Chor „ensemble vocale piccolo“ der Stiftskirchenkantorei. Foto: Martin Bernklau

Diese variantenreiche Gestaltung galt auch für die durchweg ganz ausgezeichneten Vokalsolisten, unter denen der Evangelisten-Tenor Benedikt Kristiánsson mit seinem stimmlich und artikulatorisch absolut fantastischen Gesang noch herausragte. Die Tonmalerei des zerrissenem Tempelvorhangs war nur einer seiner vielen Höhepunkte, die glaubensinnig sanfte Arie „Erwäge“ ein weiterer. Auch der Reutlinger Capella-vocalis-Eleve Jan Jerlitschka (sein Gipfel an Intensität war die von der solistischen Gambe begleitete Arie „Es ist vollbracht“ mit ihren ergreifenden, ja geradezu erschütternden Pausen und der nachfolgenden Stille).

Der Jesus-Bass von Lucian Eller hatte Würde ohne zu viel voluminöse Wucht, Jannis Knofs Pilatus strahlte Ruhe und Macht aus. Der Stimmsitz des Soprans von Lydia Eller könnte man zwar dem Zerlina-Typus zurechnen, er war aber ins zärtlich Fromme, Innige und oft sphärisch Engelhafte gewendet und ganz geschmeidig phrasiert.

Nicht nur im großen Eingangschor „Herr, unser Herrscher“, wo im Orchester das Wühlende dezent zurückgenommen war zugunsten akzentuierter Linien über dem stoischen Gleichmaß der Orgelpunkte, setzte der Chor mit hoher Präzision seine Markierungen. Unter den „Turbae“ war das tänzerisch synkopierte „Lasset und den nicht zerteilen“ ein Glanzstück an Beweglichkeit und feiner, sehr flexibler und oft pointierter Dynamik bei höchster Stimmkultur – genau abgestimmt mit einem Orchester, das zuweilen gar keine Dirigentenführung zu brauchen schien. Der Continuo-Gruppe ließ Ingo Bredenbach bei manchen Rezitativen der Solisten ganz ihren freien, einvernehmlichen Lauf und verzichtete völlig aufs Taktgeben.

Der Größe dieser bemerkenswerten, ganz eigen konturierten Aufführung von Bachs Johannespassion wurde die majestätisch lange absolute Stille gerecht, nachdem der Schlusston des letzten, kindlich ergebenen Chorals „Ach Herr, lass dein lieb Engelein“ verhallt war. Des ausdauernden Beifalls danach hätte diese tiefe Respektsbezeugung durch ein ergriffenes Publikum eigentlich gar nicht mehr bedürft.

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