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LTT – Hot Stuff für Jane Austen

Foto: Martin Bernklau

Am Landestheater Tübingen bringt ein Frauen-Quintett „Stolz und Vorurteil (*oder so)“ auf die Bühne

TÜBINGEN. Ein bisschen „Sex and the City“, viel Karaoke und ein rasanter Rollenwechsel in krassen Kostümen, ein wilder Mix aus Szenen und Zitaten von Jane Austens „Stolz und Vorurteil“, gerührt und geschüttelt. Man muss das gesehen haben, denn zu beschreiben ist es kaum, was die Engländerin Isobel McArthur mit dem prä-feministischen Kultroman aus dem England der Napoleon-Zeit gemacht hat.

Das Landestheater Tübingen wiederum hat unter der Regie von Dominik Günther keinen Aufwand gescheut, um aus der von Silke Peiffer übertragenen Vorlage (die übrigens am Wiener Burgtheater ihre gefeierte deutsche Erstaufführung hatte) ein schrilles Spektakel zu machen, das die Genre-Grenzen ständig überschreitet – was durchaus eine Art LTT-Programmatik ist.

Besonders beachtet werden muss dabei zunächst das gewohnt edel geometrisierte Bühnenbild von Sandra Fox: eine Art aufgeklapptes Buch mit Kunstrasen, lila-feministischem Rahmen und einem halbtransparenten Stoff an der Rückseite, auf den die Texte der Songs geworfen werden. Die Ausstatterin zeichnete auch für die zahllosen Kostüme verantwortlich, die von historisierendem Tüll über die Kittelschürze bis zum hippen Bustier reichen, in das sich das Frauen-Quintett aus Rosalba Salomon, Franziska Beyer, Emma Schoepe, Susanne Weckerle und Insa Jebens in fliegendem Wechsel hüllt.

Der erste Kniff der Autorin besteht darin, die ganzen intriganten Liebes-, Werbe-, Verlobungs- und Heiratshändel aus dem britischen Landadel von fünf Dienstmädchen erzählen zu lassen, mit denen sich die eher edlen Konventionen und Verhaltensweisen der eigentlichen Hauptfiguren weit ins proletenhaft Überdrehte ausweiten dürfen.

Diese volle Bandbreite von nachgezählt 18 Rollen decken die LTT-Akteurinnen virtuos, bunt und variantenreich ab, wenngleich dabei natürlich für vertiefte Charaktere kaum, nein: kein Platz bleibt. Ein paar Männerrollen werden leichthändig und mit besonders ironischem Touch nebenbei erledigt.

Charakteristisch für das Stück ist allerdings die kommentierende Ebene, die durchaus mit dem Chor des klassischen griechischen Theaters vergleichbar ist: Das sind gemischte Liebeslieder aus der Pop-und Rockkultur des vergangenen Halbjahrhunderts, von der romantischen Liebesschnulze bis zum hochsexualisierten Hot Stuff, wo das Girl einfach einen heißen Lover für die Nacht braucht.

Jörg Wockenfuß war für diese besonders wichtige musikalische Gestaltung in Form von Karaoke zuständig. Die Schauspielerinnen stachen jetzt alle nicht unbedingt durch exzellente Stimmführung oder aufsehenerregendes Timbre hervor, machten ihre Sache aber samt und sonders gut. Und den manchmal kessen ironischen Tonfall im gesprochenen Wort übertrugen sie auch mit Witz und Lässigkeit auf das gesungene.

Klar, dass sich das größte Problem der Inszenierung nicht lösen ließ. Während die oft erstaunlich werktreu übernommenen Worte Jane Austens – „Nach London! Nach London!“ konnte sogar als zusätzliche Anspielung auf Tschechow verstanden werden – ohne Schwierigkeiten übersetzen lassen, wäre eine Eindeutschung der Lied-Texte nur peinlich gewesen. So wanderten die Zeilen zu den Songs dann im Original wie sonst die Untertitel auf der halbtransparenten Leinwand auf oder ab, und das geneigte Publikum war gut beraten, der englischen Sprache mächtig zu sein.

Aber die rasante Revue, die doch auch Raum ließ für die gesellschafts- und geschlechter-analytischen Tiefen der erstaunlich wenig antiquiert wirkenden Austen-Worte und ihrer feinen Beobachtungen dürfte in ihrer grellen Buntheit selbst solchen Zuschauern Spaß gemacht haben, die da gewisse Defizite hatten.

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